Die Macht der Medien

Kaum eine Branche ist so großen Änderungen, Anfeindungen, wirtschaftlichen Zwängen und unseriösen Angeboten ausgesetzt wie die Medienbranche. Als vierte Gewalt erfüllen Medien eine nicht zu unterschätzende Aufgabe im Staat. Sind die Machtbefugnisse von Medien immer noch aktuell? Dieser Beitrag erschien zuerst im WU Magazin 01/22 als Beilage zur Tageszeitung DiePresse.

Noch Anfang Februar erwartete das Reuters Institut für Journalismus an der Universität Oxford, dass 2022 ein Jahr der Konsolidierung für eine Nachrichtenbranche werden würde, die durch die langwierige Covid-19-Krise sowohl gestört als auch wachgerüttelt wurde. Dann begannen am 24. Februar die kriegerischen Handlungen Russlands in der Ukraine. Ein Ereignis, das alle Prognosen auf den Kopf stellte. Mit den ersten Schüssen wurde das Virus zerstört. Zumindest medial. Niemand redet mehr über Covid-19, sondern nur noch über den Krieg. Die wesentliche Aufgabe der Medien ist noch immer, die Bevölkerung zu informieren, vor bewusster Desinformation – wie sie zur Zeit in Russland von den staatlich gelenkten Medien betrieben wird – zu schützen und zur Meinungsbildung anzuregen. „Was wir über die Welt wissen, wissen wir aus den Medien“, meinte einst der Soziologe Niklas Luhmann. Ohne Massenmedien gäbe es keine Öffentlichkeit. Medien bieten die Chance, Dinge nachzuvollziehen. TV, Hörfunk, Zeitungen und Magazine nehmen dabei eine enorm wichtige Rolle ein, weil die Bevölkerung ihnen in Krisensituationen mehr traut.

„Von einem Skandal kann erst dann gesprochen werden, wenn Leitmedien darüber berichten.“ Jens Seiffert-Brockmann

Trotzdem scheint die Bedeutung klassischer Medien wie TV, Hörfunk, Zeitungen und Magazinen immer weiter zurückzugehen. Online-Medien und vor allem Social-Media-Kanäle finden verstärkten Zuspruch auch durch bewusste Skandalisierung von Ereignissen. „Es gibt nach wie vor Leitmedien“, erklärt Jens Seiffert-Brockmann, Professor am WU Institut für Kommunikationsmanagement und Medien. „Die Frage ist: Wann ist ein Skandal ein Skandal? Social-Media-Kanäle wie Twitter beschwören täglich Krisen. Von einem Skandal kann jedoch erst dann gesprochen werden, wenn ein Leitmedium darüber berichtet und es thematisiert. Deshalb haben klassische Medien wenig an Bedeutung verloren.“ Zweifellos ist die Diskussion heute breiter, vielfältiger und unübersichtlicher. Der Rückzug von manchen Politiker*innen erfolgte beispielsweise erst, als massenmedialer Druck aufgebaut wurde. Die Skandalisierung in den sozialen Medien allein hätte vermutlich keine Konsequenzen gehabt.

Zahlreiche Bezahlschranken

Die Idee, dass das Internet den Informationszugang demokratisiere und für alle verfügbar mache, war romantisch, aber nicht real. Mittlerweile versteckt sich die Online-Berichterstattung der meisten Printmedien hinter Bezahlschranken (sogenannte Paywalls), die nur mit Online-Abos umgangen werden können. „Es war immer Standard, für ein Abonnement zu zahlen“, erklärt Seiffert-Brockmann. „Die Paywall gibt es schon länger, außer während einer kurzen Zeitspanne um die Jahrtausendwende, als Informationen überall frei verfügbar waren und die Zeitungsverlage nicht wussten, wie sie darauf reagieren sollten. Heute ist die Berichterstattung durch die Bezahlschranke wieder zu einer Art Eliteveranstaltung geworden.“

Überall steigende Kosten

Auf der kommerziellen Seite konzentrieren sich viele traditionelle Nachrichtenorganisationen weiterhin auf eine schnellere digitale Transformation, da die steigenden Kosten für Zeitungspapier und Energie den finanziellen Druck weiter erhöhen. Was passiert jedoch, wenn durch den Reichweiten-Verlust keiner mehr Inserate, Banner oder dergleichen in den klassischen Medien schaltet? Journalismus lediglich durch (Online-)Abonnements oder Einzelverkäufe zu finanzieren, wäre sehr teuer, das kann sich niemand leisten. Deshalb werden Medien querfinanziert durch Anzeigen. Das birgt die Gefahr von Überschneidungen. Die Anzeigenabteilung sollte auf redaktionelle Inhalte keinen Einfluss nehmen, das geschieht aber in der Praxis. Koppelgeschäfte werden angeboten, weil die Verlage finanziell enorm unter Druck stehen.

Für die Anzeige gibt es dann eine passende Berichterstattung dazu, ein Vorgang, der teilweise sogar offensiv beworben wird. Diese Vorgangsweise zeigt, wie angespannt die finanzielle Situation der Printmedien ist, aufgrund derer bereits viele vom Markt verschwunden sind. Seiffert-Brockmann ist überzeugt, dass Medien ihre Leser*innenschaft finden, wenn sie ein klares Profil zeigen. Obwohl sich die Internetkommunikation so vielfältig darstellt, werden zwei bis drei Tageszeitungen weiterhin existieren, dasselbe trifft auch für Fernsehen und Rundfunk zu. Seiffert-Brockmann: „Laut dem Rieplschen Gesetz sind Medien nie ausgestorben, nach der Vinyl-Schallplatte kam die CD, heute dominieren Musik-Streaming Dienste. Trotzdem erlebt Vinyl eine Renaissance. Genauso wird es ein Segment geben, in dem es gedruckte Zeitungen geben wird, obwohl man die Druckwerke problemlos auch digital lesen kann.“

Diametrale Interessenslage

Das Interesse der Medien, Missstände aufzudecken, verhält sich diametral zu dem derjenigen, die an der Macht sind. Es stellt eine Bedrohung dar, vor allem dann, wenn die Macht nicht auf legalem Weg erreicht wurde. Investigative Journalist*innen leben daher gefährlich. „Der italienische Journalist Roberto Saviano, der intensiv über die Mafia berichtet, lebt seit 20 Jahren mit Polizeischutz“, erläutert Seiffert-Brockmann. „Viele Journalist*innen haben den Kampf gegen die Mafia mit ihrem Leben bezahlt.“ Heute herrscht, dank der Arbeit von hartnäckigen Journalist*innen, mehr Transparenz über Zustände im Staat als noch vor wenigen Jahrzehnten.

Jens Seiffert-Brockmann

„Heute ist die Berichtserstattung wegen der Paywall wieder zu einer Eliteveranstaltung geworden.“ Jens Seiffert-Brockmann

Die Arbeitsbedingungen sind generell rauer geworden. Infolge der Covid-19-Pandemie werden Journalist*innen immer wieder am Tun gehindert. In Deutschland wurde dies erstmals mit der Pegida-Bewegung und dem Auftreten der AFD sichtbar. Da tauchte der ehemalige Nazi-Ausdruck „Lügenpresse“ plötzlich wieder auf. Überraschend ist die Form der Aggressivität. Die Anerkennung, dass Journa-list*innen Berichterstatter*innen sind, fällt komplett weg. Vielmehr schlägt ihnen Feindseligkeit und Hass entgegen, weil sie als „Manipulator*innen der öffentlichen Meinung“ gelten. Impfgegner*innen, Coronaleugner*innen, Esoteriker*innen, Personen, die mit der Politik nicht zufrieden sind, werden instrumentalisiert durch rechte Gruppierungen. Nicht alle von ihnen verweigern Demokratie, viele sind Mitläufer*innen. Es gibt aber einen kleinen Teil, der sich schon lange aus dem demokratischen Diskurs ausgeklinkt hat.

False-Balance-Problem

Andererseits werden von gewissen Medien Thesen von Verschwörungstheoretiker*innen bewusst verbreitet, weil es höhere Auflage, bessere Zuschauer-zahlen und häufigere Klicks bringt. „So etwas passiert auch in etablierten Medien“, argumentiert Nadia About Nabout, Professorin am WU Institut für Interactive Marketing und Social Media. „Es ist ein False-Balance-Problem, wenn man unterschiedliche Meinungen zu Wort kommen lassen möchte, darunter aber auch Aussagen sind, die nicht stimmen.“

„Social Media Feeds sind nicht darauf ausgelegt, dass man sich detailliert mit den Inhalten beschäftigt.“ Nadia About Nabout

Medien sind eben einem enormen Druck ausgesetzt, mehr Geld zu generieren. About Nabout: „Dort wo es gehäuft auftritt, hat es etwas mit der Führung zu tun, weil die Chefredaktion selbst diese Meinungen vertritt.“ Interessant ist, welche Methoden der Manipulation zur Anwendung kommen. So werden beispielsweise Fakten nicht zur Gänze berichtet. Die Mediennutzer*innen glauben dann, dass die Argumente wissenschaftlich untermauert sind und dass die Informationen auf realen Zahlen beruhen.

Abstimmungsplattform Telegram

Fake News und Verschwörungstheorien verbreiten sich oft über Social-Media-Kanäle. Vor allem der Instant-Messaging-Dienst „Telegram“ hat als Abstimmungsplattform für Verschwörungstheoretiker*innen traurige Berühmtheit erlangt. „Die Rechten haben auf Telegram ihren Platz gesucht und dort auch genügend Follower gefunden“, erläutert About Nabout. Aber auch „Twitter“ und „Facebook“ tragen zur Desinformation bei. In den Feeds, die User*innen auf den Social-Media-Kanälen finden, erscheinen zweifelhafte Nachrichten. Man scrollt sie durch, wenn man gerade einen Leerlauf hat.

Nadia Abou-Nabout

„Die Rechten haben auf Telegram ihren Platz gesucht und dort auch genügend Follower gefunden.“ Nadia About Nabout

About Nabout: „Social-Media-Feeds sind nicht darauf ausgelegt, dass man sich detailliert mit den Inhalten beschäftigt. Die meisten klicken nicht einmal auf einen Artikel. Die Überschrift wird gelesen und dann werden Likes vergeben.“ Eine Umfrage von Eurostat ergab, dass in der DACH-Region nur rund 20 Prozent der Social-Media-Nutzer*innen auf diesen Kanälen veröffentlichte Angaben überprüfen. In den Niederlanden ist dieser Wert mehr als doppelt so hoch. Die Schlussfolgerung liegt nahe, dass die Generation Z – um die Jahrtausendwende Geborene, die jetzt ins Berufsleben eintreten und Familien gründen – sich nur noch über Social-Media-Kanäle informiert. About Nabout sieht das nicht nur als Nachteil: „Möglicherweise ist die jüngere Generation besser gewappnet, echte News von Fake News zu unterscheiden. Sie haben ein komplett anderes Nutzungsverhalten als ältere Generationen, weil sie mit Social Media aufgewachsen sind.“

Finanzierung durch Presseförderung

Wenn der Anzeigen-/Bannermarkt nun schwer umkämpft ist, weil die digitalen Werbeeinnahmen zu den großen Plattformen wie Google und Co. abgewandert sind, bleibt für viele Medienunternehmen vor allem die Presseförderung als Finanzierungsquelle. So flossen von der österreichischen Bundesregierung im Jahr 2020 rund 67 Millionen Euro (inkl. Förderungen) an die Tageszeitungsverlage. Davon entfielen rund 33,6 Millionen Euro auf Inserate für Print und Online. Dieser Wert war doppelt so hoch wie 2019. Kritisiert wird die Unausgewogenheit dieser Förderpolitik, die drei Boulvardmedien mit mehr als der Hälfte der Ausgaben bevorzugt. „Ich bin mir nicht sicher, ob die jetzt gültige Presseförderung ideal ist“, zweifelt Robert Kert, Professor am WU Institut für Öffentliches Recht und Steuerrecht.

„Die großen Medien bekommen sehr viel, jene mit weniger Publikum erhalten tendenziell zu wenig. Qualitative Kriterien sollten eine größere Rolle spielen als die Quantität. “ Robert Kert

„Die großen Medien bekommen sehr viel, jene mit weniger Publikum erhalten tendenziell zu wenig. Qualitative Kriterien sollten eine größere Rolle spielen als die Quantität.“ Wichtig wäre seiner Meinung nach eine von der Politik unabhängige Beurteilung und Vergabe. Für Kert macht es zwar Sinn, dass bei manchen Themen der Auftrag an auflagenstarke Zeitungen vergeben wird. Er schränkt jedoch ein: „Auf der anderen Seite gilt für öffentliche Stellen etwas Anderes als für private Unternehmen. Es sollte bei der Auftragserteilung eines Inserates auch daran gedacht werden, dass diese Auswirkung auf das Überleben des Mediums hat.“ Regierungsinserate seien eine Art Presseförderung. Allerdings bestehe die Gefahr, dass Inseratenaufträge an eine Berichterstattung gebunden werden. Das ließe sich durch klare Transparenzregeln lösen. „Diese schützen davor, dass es Korruption im Staat und missbräuchliches Handeln in der Verwaltung gibt“, argumentiert Kert. „Das Ziel ist, Unabhängigkeiten zu schaffen und nicht Abhängigkeiten.“

Unabhängig von der Politik

Man brauche neben der rechtlichen auch eine Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Dies geschieht durch Medien, die auch als vierte Gewalt bezeichnet werden. Das Ziel muss sein, dass Medien zwar Geld vom Staat bekommen, aber keine Abhängigkeit zur Politik besteht und dass keine Gegenleistung gegenüber der Politik erwartet wird. Es muss ein System entwickelt werden, mit dem man es schafft, dies voneinander zu trennen. Kert: „Im Förderungssektor könnte man das sehr gut durch unabhängige Gremien lösen. Der Wille muss aber dafür vorhanden sein.“ Das sei kein Problem einer einzigen politischen Partei, denn jede habe Interesse daran, Einfluss auf Medien zu nehmen. Manche haben aber mehr Macht dazu als andere.

Eventtipp:

Am 23. März diskutieren bei WU matters. WU talks. Expert*innen der Wirtschaftsuniversität Wien und aus der Medienbranche über „Die Macht der (neuen) Medien“.

Wann: Mittwoch 23.03.2022 von 18:00 – 19:30 Uhr

Wo: Campus WU, Gebäude LC, Festsaal 1 wu.at/matters-medienmacht