Teilen statt Besitzen

Unter dem Begriff „Sharing Economy“ lassen sich viele Ideen zusammenfassen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen: Statt individuell immer mehr Güter zu kaufen und allein zu nutzen, sollen Güter stärker gemeinsam genutzt werden – ganz im Sinne einer nachhaltigen Ressourcennutzung. So teilt man z.B. die eigene Wohnung über AirBnB, beteiligt sich an einer Carsharing-Initiative oder bewirtschaftet mit anderen einen Gemeinschaftsgarten. Wir haben mit den beiden WU Forscher*innen Renate Meyer und Achim Oberg (Forschungsinstitut Urban Management und Governance der WU) über diesen Trend und erste Ergebnisse ihres großen Forschungsprojektes gesprochen.

WU Blog: Welche Vorteile hat „Teilen statt Besitzen“?

Renate Meyer: Einmal erstellte Güter stärker zu teilen, hat ökonomische Vorteile, weil sich Erstellungs- und Anschaffungskosten auf eine intensivere Nutzung verteilen können. Zusätzlich kann es ökologische Vorteile haben, wenn weniger Produkte produziert und genutzt werden. Außerdem hat es positive soziale Effekte, wenn man beim Teilen erlebt, dass sich ein Vertrauensvorschuss auszahlt.

WU Blog: Welche Geschäftsmodelle von Sharing Economy gibt es konkret und wie lassen diese sich einordnen?

Achim Oberg: In unserer Forschung haben wir ca. 20 verschiedene Geschäftsmodelle – vom lokal operierenden Urban Garden bis zum weltweit vertretenen Konzern zur Organisation von Übernachtungen – identifiziert. Vergleicht man die wichtigsten Elemente der Geschäftsmodelle – insbesondere die Bereitstellung von gemeinsam nutzbaren Gütern, die Abwicklung von Transaktionen und die Gegenfinanzierung – lassen sich zwei unterschiedliche Gruppen von Geschäftsmodellen unterscheiden: Lokal agierende Grassroot-Initiativen (z.B. Foodsharing, Urban Gardening, Solidarische Landwirtschaft, Repair-Cafes, Coworking-Spaces) sowie plattformbasierte Organisationen (z.B. Peer-to-Peer Tauschbörsen, Übernachtungsplattformen, Car- und Bikesharing-Modelle).

Grafik zur Verteilung von Sharing-Organisation

Verteilung von Sharing-Organisationen auf Aktivitätsbereiche (aus: I-Share Report I, 2020)

WU Blog: Wie kann Sharing Economy zur Nachhaltigkeit und zum nachhaltigen Umgang mit Ressourcen beitragen?

Achim Oberg: Die verschiedenen Geschäftsmodelle der Sharing Economy können dann zur ökologischen Nachhaltigkeit beitragen, wenn bereits erstellte Güter intensiver genutzt und damit weniger Güter erstellt werden. So setzen sich Repair-Cafes dafür ein, Kleingeräte zu reparieren, damit nicht gleich ein Ersatz produziert werden muss. Urban Gardens, Solidarische Landwirtschaft und Foodsharing-Initiativen versuchen, das Bewusstsein zu stärken, dass Lebensmittelabfälle reduziert werden sollten. Car- und Bikesharing-Modelle intensivieren die Nutzung der gleichen Autos und Räder.

Renate Meyer: Vergleicht man z.B. beim Carsharing den CO2-Ausstoß eines Autos mit X Insass*innen mit dem CO2-Ausstoß von X Autos, wird der positive ökologische Beitrag von Sharing Modellen schnell deutlich. Vergleich man Carsharing jedoch mit Bussen, Straßenbahnen und Zügen, verschwindet der positive Eindruck sofort. Solche älteren Formen, Transportmittel gemeinschaftlich zu nutzen, haben ein weitaus höheres CO2-Einsparungspotential als neue Carsharing-Modelle.

Grafik zur Ridesharing-Plattform

Visualisierung des Input Output Outcome-Modells für eine größere, bundesweit aktive Ridesharing
Plattform (aus: I-Share Report III, 2020)

Achim Oberg: In unserer Forschung haben wir die verschiedenen Geschäftsmodelle der Sharing Economy nicht nur bezüglich ihrer ökologischen Effekte, sondern auch bezüglich ihrer sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit verglichen. Es zeigen sich dabei zwei Arten des Umgangs mit Nachhaltigkeit: Grassroot-Modelle haben oftmals soziale und ökologische Ziele tief in den einzelnen Elementen ihres Geschäftsmodells verankert („Sustainability by Model“), während Plattform-Organisationen primär ökonomische Ziele verfolgen und dabei soziale und ökologische Ziele allein durch einzelne ergänzende Maßnahmen („Sustainability by Feature”) verfolgen.

Für „Teilen statt Besitzen“ braucht es einen längerfristigen gesellschaftlichen Wandel.

WU Blog: Wer beschäftigt sich an der WU mit diesem Thema? Was passiert genau?

Achim Oberg: An der WU wird die Sharing Economy aus unterschiedlichsten Perspektiven erforscht: So wird z.B. aus organisationswissenschaftlichen Perspektive erforscht, wie neue Sharing Formen entstehen und in welchen Kontextbedingungen sie sich positiv entwickeln; aus psychologischer und ökonomischer Perspektive wird ermittelt, unter welchen Bedingungen Transaktionen zustande kommen; eine informationstechnische Perspektive liefert Grundlagen zur Ausgestaltung digitaler Plattformen; eine strategische Perspektive bietet sich an, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Geschäftsmodellen herauszuarbeiten; eine wirtschaftsgeographische Perspektive trägt dazu bei, Regionen und Stadtteile mit höherer Gründungsintensität zu identifizieren; aus einer Urban-Governance-Perspektive lässt sich ermitteln, welche Strategien sich für Kommunen anbieten, nachhaltige Geschäftsmodelle voranzutreiben. Mit ihren verschiedenen Departments und Forschungsinstituten hat die WU sehr gute Voraussetzungen, um die Sharing Economy aus solch unterschiedlichen Perspektiven zu erforschen. So sind in den letzten Jahren verschiedene Forschungsgruppen entstanden, die sich sowohl intern als auch international vernetzt haben, um die Forschung zur Sharing Economy und zur Platform Economy voranzutreiben.

Renate Meyer: Am Forschungsinstitut für Urban Management & Governance nähern wir uns dem Thema insbesondere aus organisationswissenschaftlicher Perspektive und konzentrieren uns auf Wechselwirkungen im städtischen Raum. Hierzu haben wir ein spannendes Projekt gemeinsam mit der Stadt Wien begleitet, in welchem wir verschiedenste Sharing Organisationen aus Wien auf einem virtuellen Stadtplan sichtbar gemacht haben. Gleichzeitig engagieren wir uns gemeinsam mit anderen Universitäten im Forschungsnetzwerk i-share und versuchen hier in umfangreichen quantitativen Studien, mehr über inner-organisationale Strukturen von Sharing Organisationen zu erfahren, deren Einbettung in organisationale Ökosysteme zu begreifen und auch die geographische Verteilung von Sharing Organisationen in städtischen, aber auch ländlichen Räumen besser zu verstehen.

Einige Städte sehen Sharing Economy ganz klar als Chance, einen positiven ökologischen Wandel zu unterstützen.

WU Blog: Wie können zum Beispiel Städte von den Forschungsergebnissen lernen?

Renate Meyer: Städte sind mit beiden beobachteten Modell-Varianten konfrontiert: In ihnen werden Grassroot-Initiativen gegründet und in ihnen bieten international agierende Plattformen ihre Lösungen an. Während die Grassroot-Initiativen aufgrund ihrer lokalen Standorte meist gut in kommunale Entscheidungsprozesse eingebunden werden können, fällt es dagegen ungleich schwerer, mit international agierende Plattformen zu kooperieren, wenn Probleme auftreten. Europäische Städte wie Wien, Barcelona, Amsterdam und Berlin haben dabei anfangs sehr unterschiedliche Ansätze der Kooperation und Konfrontation mit Plattformen wie AirBnB und Uber gewählt, vernetzen sich jetzt aber immer stärker.

In einer vergleichenden Studie haben wir untersucht, wie verschiedene Stadtverwaltungen weltweit die „Sharing Economy“ sehr unterschiedlich wahrnehmen und sich daher in ihren Reaktionen auf die damit einhergehenden Entwicklungen grundlegend unterscheiden. Wir konnten beobachten, dass einige Städte die Sharing Economy ganz klar auch als Chance sehen, einen positiven ökologischen Wandel zu unterstützen. Städte wie Los Angeles, Kopenhagen oder Paris – die zwar sehr unterschiedlich sind in ihren geographischen und kommunalen Strukturen – wählen hier einen ähnlichen Steuerungsansatz und sehen in der Sharing Economy eine Möglichkeit, nachhaltiges Wirtschaften in urbanen Räumen zu fördern.

Stadtplan Wien mit Sharing-Initiativen

Interaktive Karte der Sharing Economy-Initiativen und -Organisationen in Wien

WU Blog: In welche Richtung wird sich die Sharing Economy weiterentwickeln?

Renate Meyer: Die Weiterentwicklung der Sharing Economy lässt sich nur schwer abschätzen, da es bei zwei Fragen noch enorme Unsicherheiten gibt: Ist die die Sharing Economy eine temporäre Mode oder ein längerfristiger Trend? Die zentrale Zielsetzung „Teilen statt Besitzen“ lässt sich nicht allein kurzfristig umsetzen, sondern erfordert einen längerfristigen gesellschaftlichen Wandel. Ob dieser Wandel tatsächlich schon stattfindet oder ob die Sharing Economy eine kurze Mode ist, werden wir erst innerhalb der nächsten Jahre sagen können.

WU Blog: Wie wird sich die Platform Economy weiterentwickeln?

Achim Oberg: Innerhalb der Sharing Economy haben wir ja Grassroot- und Plattform-Modelle identifiziert. Während die Grassroot-Modelle eindeutig nachhaltige Ziele verfolgen, ist bei den Plattform-Modellen unsicher, ob auch in Zukunft das Teilen als nachhaltige Strategie stärker in den Vordergrund rückt oder ob die Plattform-Modelle immer weiter zu Modellen mit primär ökonomischen Zielen werden, bei denen die Intention „Teilen statt Besitzen“ immer mehr in Vergessenheit gerät.

WU Blog: Können sich Studierende auch selbst einbringen? Könnte Sharing Economy auch für ein eigenes Business spannend sein?

Achim Oberg: Für Studierende gibt es vielfältige Möglichkeiten: Sie können mit Bachelor- und Masterarbeiten zur weiteren Erforschung beitragen oder sogar als studentische Mitarbeiter*innen in Forschungsprojekten mitarbeiten. Sie können bei Plattform-Unternehmen Praktika absolvieren und so interne Erfahrungen sammeln. Sie können sich aber auch aktiv an der Weiterentwicklung der Sharing Economy beteiligen, indem sie Initiativen starten, die mittelfristig zu neuen Grassroot-Organisationen oder zu Neugründungen von Unternehmen führen.

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