Warum fehlt es an einem gemeinsamen Europagefühl?

Ende Mai finden in der Europäischen Union die Europawahlen statt. Auch in Österreich werden am 26. Mai 2019 die österreichischen Abgeordneten für das Europaparlament gewählt. Doch das gemeinsame Europa-Gefühl steht auf wackeligen Beinen – das zähe Ringen um den Verbleib (oder den Ausstieg) Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft schwächt das große Ganze. Zudem drohen Fake News und Angst-Berichtserstatung die europäische Gemeinschaft zu spalten. Wir haben Susanne Kopf, Forscherin am WU Institut für Englische Wirtschaftskommunikation, und Mark Strembeck, Forscher am WU Institut für Information Systems & New Meda Lab, gefragt, woran es hakt und welche Auswirkungen das haben kann. Dieser Beitrag erschien zuerst im WU Magazin als Beilage zur Tageszeitung Die Presse.

Susanne Kopf ist Forscherin am WU Institut für Englische Wirtschaftskommunikation

WU Blog: Warum fehlt es an einem gemeinsamen Europagefühl?

Susanne Kopf: Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist, dass wir keine EU-weite Öffentlichkeit haben, wo wir uns als EU-BürgerInnen austauschen können. Wir haben eventuell nicht Zugang zu den gleichen Informationen. Denn generell berichten die nationalen Medien verstärkt aus ihrer nationalen Sicht – da gibt es auch Interessen, die nicht EU-positiv sind. Die nationale Politik hat nicht in erster Linie das Interesse, die EU positiv darzustellen, sondern vielmehr die eigene Partei. Wenn etwas Negatives passiert, wird der schwarze Peter gerne der EU zugespielt. Außerdem fehlt eine Wir-Konstruktion. Oft hört man von PolitikerInnen: „Das sind nicht wir, das ist die EU in Brüssel.“ Hier passiert eine Abgrenzung auf nationalstaatlicher Ebene: Einerseits
mit einer räumlichen Distanzierung, andererseits mit der Separierung in wir und die EU. Obwohl wir ja die EU sind, wird diese als eine separate Körperschaft dargestellt. Wenn es dann in der Brexit-Debatte in Großbritannien heißt: „We have to regain control“, dann wird damit die Konstruktion von einem Geben und Nehmen geschaffen. Die EU nimmt uns etwas und wir geben, etwa  Entscheidungsgewalt. Dass die Nationalstaaten die EU formen, geht sprachlich verloren.

WU Blog: Wie kann man dem entgegenwirken?

Susanne Kopf: Um eine EU-Identität zu stärken wäre es unter anderem wichtig, transnationale Plattformen zu etablieren, also EU-weit verfügbare Medien. Im Internet könnte das vielleicht funktionieren, doch abgesehen von Sprachbarrieren haben wir online das Problem, dass wir uns oft in unseren Filter Bubbles bewegen, wodurch wir verstärkt die Information bekommen, die wir hören wollen. Weil wir uns online stark separiert voneinander in abgegrenzten ideologischen Räumen bewegen wäre es wichtig, bereits in der Schule die kritische Medien- und Kommunikationskompetenz zu fördern. Wenn man nun konkret eine Kampagne zur Stärkung der EU starten würde, dann müsste man jedenfalls versuchen, die Wir-Messages zu stärken. Das müsste im nationalen Kontext passieren, etwa durch PolitikerInnen, aber auch auf medialer Ebene. Außerdem wäre es wichtig, stärker zu betonen, dass wir uns für die EU entschieden haben und es eine bewusste Entscheidung der BürgerInnen war – gerade in Österreich. Sonst schürt das Ohnmacht und Angst. Und Angst bringt bekanntlich nicht das Beste im Menschen hervor.


Mark Strembeck ist Forscher am WU Institut für Information Systems & New Media Lab

WU Blog: Was sind Fake News und wie verbreiten sie sich?

Mark Strembeck: Der Begriff Fake News ist nicht trennscharf und wird für verschiedene Arten von Desinformation verwendet. Zum einen zur Bezeichnung von Falschinformationen, das heißt Informationen, die nachweislich unwahr sind, neuerdings aber auch für irreführende Informationen oder Halbwahrheiten: etwa Übertreibungen, das inkorrekte Zitieren von Aussagen und die bewusste Verbreitung veralteter Informationen. Falsche oder irreführende Informationen werden etwa bei Auseinandersetzungen in der Politik verwendet, um KonkurrentInnen zu diffamieren. Außerden wird der Begriff ironisch verwendet, um etwa Personen oder Medien zu verspotten. Die Grenzen zwischen einer scherzhaften und einer verleumderischen Verwendung sind fließend. Insofern sind Fake News kein neues Phänomen, doch die Verwendung des Sammelbegriffs hat stark zugenommen. Zudem ist eine Professionalisierung bei der Fabrikation und Verbreitung von Fake News zu beobachten. Oft sollen so seriöse Informationsquellen diskreditiert, eine Gegenrealität erzeugt und die InformationskonsumentInnen verunsichert werden. Bei professionell erstellten Falschmeldungen ist häufig erst ein Fact Checking fähig, die Falschinformation zu entlarven. Es gibt Bemühungen, ein besseres Verständnis der Informationsflüsse zu erreichen. Soziale Medien tragen erheblich zur Verbreitung von Fake News bei, auch durch die fehlende Eintrittshürde, die eine unmittelbare Verbreitung ermöglicht, ohne sich an die redaktionellen Standards von Qualitätsmedien oder wissenschaftlichen Forschungsinstitutionen halten zu müssen.

WU Blog: Welche Auswirkungen haben Fake News auf die EU?

Das aktuell prominenteste Beispiel dürften die Folgen der Kampagne sein, die zum Brexit-Referendum geführt hat. Am Beginn stand die Behauptung, dass Großbritannien 350 Millionen Pfund pro Woche an die EU zahlt, die man sich bei einem Austritt sparen könnte. Nicht nur hat sich dieser Betrag als falsch erwiesen, vielmehr steht Großbritannien durch den anstehenden Brexit  bereits heute finanziell schlechter da. Dieses Beispiel zeigt, welche schwerwiegenden Folgen Desinformation haben kann. Menschen fällt es häufig schwer, voreingenommene Informationen zu erkennen. In der EU gibt es Initiativen dagegen. Im Jahr 2018 ging zum Beispiel eine diesbezügliche Mitteilung der Europäischen Kommission an das EU-Parlament. Zudem wurden ein Report des Joint Research Centre und der Bericht einer High Level Expert Group veröffentlicht. Die Empfehlung der ExpertInnengruppe: Unter anderem die Stärkung des seriösen Journalismus und eine Intensivierung der wissenschaftlichen Forschung.