„Der Mensch ist nicht zuletzt deshalb an der Spitze der Nahrungskette, weil er Dinge besitzt und diese auch zu benutzen versteht.“

Die WU Forscherin Bernadette Kamleitner setzt sich in ihrer Arbeit damit auseinander, was sich hinter dem Wörtchen „meins“ verbirgt. Als Researcher of the month 03/19 zeigt sie anschaulich, dass Menschen auch für Güter Besitzgefühle entwickeln können, die immateriell sind. Wir haben die Leiterin des Instituts für Marketing und KonsumentInnenforschung gefragt, ob der aktuelle Trend zum radikalen Ausmisten gut ist und für welche Dinge wir viel mehr Besitzgefühl entwickeln sollten.

Name: Bernadette Kamleitner

Jahrgang: ein guter

Geburtsort (aufgewachsen in): Mühlviertel

Als Kind wollte ich werden: groß – ist dann doch sehr rasch gelungen

Darum bin ich Wissenschaftler geworden: um Warum-Fragen immer wieder stellen zu können und auch den Raum zu haben die Antwort darauf zu suchen

Das fasziniert mich an meinem Fachbereich: die Vielfalt der Fragestellungen rund um das psychologische Wunder Mensch

Mein persönliches berufliches Wunschziel: dazu beitragen, dass Reflektion mehr Bedeutung und Raum zuerkannt wird


WU Blog: Durchschnittlich 10.000 Dinge, so eine populäre Statistik, besitzt der/die DurchschnittseuropäerIn. Nur die wenigsten Dinge davon braucht der Mensch wirklich zum Leben. Woher kommt diese Lust am Sammeln von Dingen und dem Besitz an sich?

Bernadette Kamleitner: Der Mensch ist nicht zuletzt deshalb an der Spitze der Nahrungskette, weil er Dinge besitzt und diese auch zu benutzen versteht. Unsere Besitztümer erlauben uns Dinge zu tun, die unseren ureigenen Wirkungsraum bei weitem übersteigen. Um nur drei Beispiele zu nennen: Dadurch, dass wir Werkzeuge besitzen, können wir Bäume fällen und Steine spalten– ein Ding der Unmöglichkeit, hätten wir nur unsere bloßen Hände. Durch den Besitz eines Smartphones können wir mit Menschen kommunizieren, die Tausende Kilometer von uns entfernt sind – ein Ding der Unmöglichkeit, hätten wir nur unsere bloße Stimme. Durch den Besitz einer Wohnung oder eines Hauses, können wir witterungsunabhängig behaglich im Trockenen schlafen und uns dabei auch noch sicher fühlen – ein Ding der Unmöglichkeit, hätten wir nur unsere Haut als Schutzschild. Kurz der Mensch strebt deshalb nach Besitz, weil Besitz uns Sicherheit geben kann, weil er unseren eigenen Möglichkeitshorizont dramatisch erweitert und auch weil er uns dabei hilft unsere eigene Identität zu formen und zum Ausdruck zu bringen (z.B., Kleidung).

„Besitz ermöglicht nicht nur viel, er impliziert auch Verantwortung.“

WU Blog: Der aktuelle Hype um die Aufräum-Königin Marie Kondo hat vielen Menschen vor Augen geführt, dass eben diese 10.000 oder mehr Dinge viel zu viel sind. Eine Trennung vom Besitz entspricht diesem Zeitgeist. Was ist denn nun besser: Viel zu besitzen oder wenig?

Bernadette Kamleitner: Ein gewisses Ausmaß an Besitz tut jedem Menschen gut. Man kann aber sowohl zu wenig als auch zu viel besitzen. Letztlich ermöglicht Besitz nicht nur viel, er impliziert auch Verantwortung. Wenn wir nicht mehr in der Lage sind mit den Dingen, die wir besitzen, in Beziehung zu treten und uns diese durch Interaktion anzueignen, dann ist es auch schwer dafür Verantwortung zu übernehmen. Wir können nicht mit 10.000 Dingen in „Beziehungsarbeit“ treten. Statt eine zu verantwortende Bereicherung zu sein, werden Besitztümer dann auch schnell zu einer überfordernden Belastung. Wichtig ist es aber nicht das Kind mit dem Bade auszuschütten. Besitztümer haben wichtige psychologische aber auch ökonomische und soziale Funktionen. Ein Blick in die Geschichte genügt, um zu erkennen, dass auch Besitzlosigkeit schnell zu Abhängigkeit und Verletzbarkeit führen kann.

„Man darf nicht vergessen, dass Besitzgefühl auch zur Zerstörung berechtigt.“

WU Blog: Sie forschen u.a. zum psychologischen Besitz, ein Gefühl, das man auch für immaterielle Güter wie die eigene Umwelt entwickeln kann – welche Auswirkungen hat dieses Besitzgefühl auf den Umweltschutz?

Bernadette Kamleitner: Auch hier ist das zentrale Thema das Thema der Verantwortung. Wenn Menschen das Gefühl haben „das ist MEINE Umwelt“ dann heißt das in der Konsequenz auch – „ich bin mit dafür verantwortlich“. Je nachdem wie eine Person Umweltschutz definiert oder welche Möglichkeiten sie sieht, kann das zu verschiedensten Umweltschutzmaßnahmen führen. Das ist gleichzeitig das Mächtige an psychologischem Besitz – er beeinflusst nicht nur eine einzige Handlung, sondern eine ganze Haltung. Die wirkliche Herausforderung ist es damit noch besser zu verstehen wie man psychologischen Besitz in einem gesunden Maß (man darf nicht vergessen, dass Besitz auch zur Zerstörung berechtigt) fördern kann.

WU Blog: Welche immateriellen Güter – außer dem Umweltschutzgedanken – würde es sich denn Ihrer Meinung nach ebenfalls lohnen, wenn sich mehr Menschen dafür verantwortlich (also als „BesitzerInnen“) fühlen würden?

Bernadette Kamleitner: In vorderster Front steht aus meiner Sicht das immaterielle Gut Daten. Mit ein Grund warum Menschen letztlich so sorglos mit ihren eigenen und den Daten anderer umgehen liegt darin, dass sie wenig Besitzgefühle für Daten empfinden (Ausnahmen bestätigen die Regel). Dass das so ist, ist theoretisch sehr gut erklärbar und auf eine Vielzahl von Facetten zurückzuführen. Eine der für mich wichtigsten Herausforderungen in unserer Forschung gilt momentan der Suche nach Wegen, die psychologischen Besitz für Daten fördern und nach Alternativen, die das Problem des persönlichen Datenausverkaufs minimieren.