Fort Knox für persönliche Daten

Steuern Politik und Wirtschaft auf den totalen Überwachungsstaat zu, oder gibt es dank der neuen EU-Datenschutz-Grundverordnung doch noch eine reelle Chance, persönliches (Daten-)Gut zu schützen? Dieser Beitrag erschien zuerst im WU Magazin 02/18 mit dem Schwerpunkt China als Beilage zur Presse.

Erst seit wenigen Wochen in Kraft getreten, bereitet die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) Ein-Personen-Unternehmen genauso wie multinationalen Konzernen noch immer Kopfzerbrechen. Die Intention der öffentlichen Stellen war klar: Die individuellen Daten der BürgerInnen sollen in Zukunft besser geschützt werden, bei Zuwiderhandeln werden drakonische Strafen angedroht. Für die einzelnen Unternehmen bedeutete dies zunächst viel Mehrarbeit, die nicht selten als Schikane empfunden wird. Sarah Spiekermann-Hoff, Leiterin des WU-Instituts für Management Information Systems ist überzeugt, dass sich das Umfeld aufgrund des Gesetzes und des Wettbewerbs ändern wird. „Wir brauchen diese Verordnung, um in eine vertrauensvollere Online-Welt hineinzusteuern. Ob sich jetzt die Kräfte des Vertrauens und der Menschenrechte im Internet gegenüber den bestehenden ökonomischen Modellen durchsetzen werden, das wage ich nicht vorherzusehen.

„Je weiter die Überwachung fortschreitet, desto eher kann es sein, dass wir Überwachung eines Tages akzeptieren.“ Bernadette Kamleitner, Vorständin des Institutes for Marketing and Consumer Research der WU Wien.

Überwachung gefordert

Auch für Social-Media-Dienste gilt die DSGVO. Für diese werden umfangreiche Maßnahmen notwendig: Unter anderem müssen die Anbieter klar benennen, welche Daten gespeichert und wofür sie verwendet werden. Die Erlaubnis zur Verarbeitung persönlicher Daten muss von den NutzerInnen erneut eingeholt werden. „Wichtig ist, dass NutzerInnen auf eine solche Weise informiert werden, dass sie verstehen können, was mit ihren Daten eigentlich passiert“, erklärt Robert Kert, WU-Professor für Österreichisches und Internationales Strafrecht. „Die Nutzer- Innen müssen auch darüber aufgeklärt werden, wie sie eine erteilte Erlaubnis wieder rückgängig machen können.“ Es stellt sich die Frage, ob Facebook sein Versprechen einhalten und UserInnendaten aus diesem Grund nicht mehr ungeprüft an Dritte weitergeben wird (Stichwort: Cambridge Analytica). Was Facebook tatsächlich plant, sei schwer vorherzusehen, meint Kert. Facebook verfüge mittlerweile über eine fast monopolartige Datenmacht. Daraus resultierende Probleme könne das Datenschutzrecht alleine nicht lösen. Bernadette Kamleitner, WU-Professorin am Institut für Marketing und KonsumentInnenforschung erwartet zukünftig ein kontrollierteres und für Facebook auch lukrativeres Vorgehen. „Die neue Verordnung verknappt persönliche Daten, das treibt möglicherweise auch deren Wert und Begehrlichkeit in die Höhe.“

„Fehlende Sensibilität zeigt sich auch darin, wie viele persönliche Daten zahlreiche Menschen bereit sind preiszugeben.“ Robert Kert
Robert Kert leitet das WU Institut für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht.

Überwachung akzeptiert

Persönliche Daten werden oft als das Öl der Digitalökonomie betrachtet. Es gibt aber auch den gegenläufigen Trend im Wirtschaftssystem, der die Überwachung etabliert. „Klar ist bislang nur, dass ein zunehmendes Bedürfnis nach Sicherheit besteht“, meint Kamleitner. „Im Moment sind wir an Freiheit und die Möglichkeit von Privatsphäre gewöhnt und schätzen diesen kollektiven Wert. Je weiter das Ausmaß der Überwachung aber in kleinen, verkraftbaren Schritten fortschreitet, desto eher kann es sein, dass wir eines Tages auch Überwachung gesellschaftlich akzeptieren.“ Interessant ist, dass von vielen Menschen zwar die Weitergabe von Daten an Private als Problem gesehen wird, dass Überwachungsmaßnahmen, die damit begründet werden, dass sie der Sicherheit und dem Schutz vor terroristischen Anschlägen dienen, aber von einer großen Mehrheit der Bevölkerung offenbar als recht unproblematisch gesehen werden. Kert fehlt es vielfach an Sensibilität dafür, dass wir immer mehr Privatsphäre aufgeben. „Diese fehlende Sensibilität zeigt sich auch darin, wie viele persönliche Daten zahlreiche Menschen bereit sind preiszugeben, ohne genauer zu wissen, was mit diesen Daten geschieht oder wer sie erhält.“

Überwachung erwünscht

In manchen Regionen und Städten Chinas gestatten BürgerInnen den Behörden mittlerweile freiwillig, ein breites Spektrum an personenspezifischen Daten auszuwerten, wobei man – je nach seinem Verhalten – negative und positive Punkte sammeln kann. Negative, wenn man z. B. zu schnell fährt oder zu lange ein Online-Game spielt. Positive, wenn man z. B. eine Wohltätigkeitsveranstaltung der Partei unterstützt. Könnte sich so ein Überwachungspaket auch im Westen durchsetzen? Spiekermann-Hoff findet das total erschreckend: „Es ist vollkommen naiv anzunehmen, dass selbst umfangreiche Datenmodelle über Menschen auch nur ansatzweise in der Lage sind, diese vollständig zu beschreiben. Digitale Datensammlungen von Menschen werden der Komplexität des Einzelnen und seines oder ihres Lebens nie gerecht; auch wenn das heute eine sehr komfortable Illusion in Politik und Wirtschaft geworden ist.“