„Empfehlungen von Dritten sind immer hilfreich“
Name: Ben Greiner
Jahrgang: 1975
Geburtsort (aufgewachsen in): Berlin
Als Kind wollte ich werden: Generalsekretär des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und Vorsitzender des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik
Darum bin ich Wissenschaftler geworden: wegen der Freiheit, Flexibilität, und Selbstbestimmtheit in diesem Beruf
Das fasziniert mich an meinem Fachbereich: Ökonomisches Denken ist im Prinzip logisches strategisches Denken auf der Basis solider empirischer Evidenz. Damit ist es auf alle Lebensbereiche anwendbar, nicht nur auf ökonomische Phänomene im engeren Sinne.
Mein persönliches berufliches Wunschziel: Einmal in einem Forschungsartikel „This is silly.“ schreiben.
WU Blog: Wie hoch schätzen Sie den Einfluss persönlicher Empfehlungen von Dritten auf die Kaufentscheidungen ein?
Ben Greiner: Ich denke, dass die Informationen durch Dritte einen hohen und immer höheren Stellenwert in unseren Kaufentscheidungen einnehmen. Dabei spielt vor allem die Unsicherheit und soziale als auch geographische Distanz eine Rolle. Im Geschäft kann ich einen Artikel genau in Augenschein nehmen und eventuell sogar ausprobieren, ob mir ein Freund/eine Freundin den Artikel empfohlen hat, ist daher nicht ganz so wichtig. Auf einem Online-Markt muss ich mich auf die Beschreibung des Verkäufers verlassen; Erfahrungen Dritter mit diesem Verkäufer spielen daher eine größere Rolle. In empirischen Untersuchungen sehen wir sehr deutlich, dass der Verkaufserfolg und die Preise, die ein Verkäufer erzielen kann, signifikant von den erhaltenen Bewertungen vorheriger Käufer abhängt. Wird vom Markt oder Verkäufer eine Versicherung oder ein Rückgaberecht eingeräumt, dann sinkt meine Unsicherheit und damit der Stellenwert von Empfehlungen. Jedoch ist die Unsicherheit nie ganz verschwunden, und Empfehlungen Dritter daher noch immer hilfreich.
Bewertungssysteme der 2. Ordnung: Nicht nur Produkte werden bewertet, sondern die Bewertungen und BewerterInnen selbst
WU Blog: Spielt es eine Rolle, wie sehr man sich mit dem Bewerter (also demjenigen, der die Bewertung ausgesprochen hat) verbunden fühlt?
Ben Greiner: Die Vertrauenswürdigkeit einer Bewerterin spielt natürlich eine große Rolle. Einige Märkte haben sogar schon Bewertungssysteme „der 2. Ordnung“ eingeführt, in denen nicht nur die Produkte und Transaktionen selbst bewertet werden, sondern auch die Bewertungen und BewerterInnen selbst bewertet werden. Auf Amazon z.B. schreiben Kunden Bewertungen zu Büchern und Produkten (und vergeben zwischen 1 und 5 Sterne). Andere Kunden können wiederum (durch Daumen hoch oder runter) bewerten, wie hilfreich eine Bewertung für ihre Kaufentscheidung gewesen ist. Andere Märkte spielen mit Systemen, die Bewertungen von Leuten, die mir ähnlicher sind oder in der Vergangenheit ähnliche Interessen gezeigt haben, stärker gewichten als Bewertungen von Leuten, die mir fern sind. Netflix ist dafür ein Beispiel.
WU Blog: Wer hat mehr Einfluss auf die eigenen Entscheidungen: Die Empfehlung von Bekannten oder Fremden?
Ben Greiner: Bekannte, Familie, und Freunde haben stärkere Anreize, wahrhaftige Empfehlungen abzugeben, als Fremde. Einen vorherigen Käufer auf eBay lerne ich nie kennen, er hat eigentlich keine direkten Anreize, mir bei meiner Kaufentscheidung zu helfen. Die falsche Empfehlung einer Freundin könnte auf die Beziehung zu ihr zurückfallen. Sie wird daher ihre Empfehlung mit Bedacht abgeben, und versuchen wahrhaftig zu sein. Diesen Empfehlungen kann man daher mehr vertrauen. Die höhere Vertrauenswürdigkeit von Freunden führt in Märkten interessanterweise zu einem Paradox. Wenn ein Freund einer Freundin etwas verkauft, dann passiert das oft zum „Freundschaftspreis“, d.h. zu einem geringeren Preis als der Preis, den der Freund einem Fremden abverlangen würde. Aus ökonomischer Sicht sollte der Freund von seiner Freundin jedoch einen höheren Preis verlangen können: die Unsicherheit auf Seiten der Käuferin ist geringer, wenn der Verkäufer ein Freund ist. Der Verkäufer hat höhere Anreize, die Qualität des Produktes wahrheitsgetreu zu beschreiben, und die Käuferin nicht zu enttäuschen. Es ist interessant, dass wir so etwas in der Realität nicht beobachten.
„Aus ökonomischer Sicht sollte der Freund von seiner Freundin einen höheren Preis verlangen können!“
WU Blog: Wie oft passiert es, dass man etwas aufgrund einer positiven Bewertung kauft, und im Nachhinein feststellt, dass es sich dabei nicht um eine ehrlich entstandene Bewertung gehandelt haben kann?
Ben Greiner: Natürlich gibt es Unsicherheit in Bewertungssystemen, wie überall sonst auch. Das bisher gesammelte Feedback ist nur ein mit Unsicherheit behafteter Indikator für die zu erwartende Vertrauenswürdigkeit des Verkäufers. Insofern kann es selbst bei einem gut funktionierenden System passieren, dass Erwartungen nicht erfüllt werden. Dieser Anteil der schlechten Erfahrungen steigt jedoch, um so mehr Unsicherheit bei den Bewertungen herrscht, also um so weniger echte Informationen darin enthalten sind. Wissenschaftler von der University of Maryland und der University of Notre Dame haben vor ein paar Jahren geschätzt, dass mindestens 20% aller Käufer nach einer Transaktion zumindest „mildly dissatisfied“ sind. Dabei haben sie insbesondere auch Transaktionen ausgewertet, die überhaupt kein Feedback nach sich gezogen haben.
WU Blog: Online-Bewertungen werden – vor allem in bestimmten Branchen wie der Reisebranche – immer wieder als Instrument zur Erpressung/Nötigung missbraucht: man liest von Kunden, die unter Androhung einer ansonsten negativen Bewertung Vergünstigungen o.ä. in Anspruch nehmen wollen. Verwässern solche Vorfälle das Vertrauen der User in Bewertungen? Und kann man im Bewertungssystem selbst etwas adaptieren, dass das nicht passiert?
Ben Greiner: Das ist vor allem ein Problem in einseitigen Bewertungssystemen. In vielen Märkten können sich beide Seiten des Marktes „daneben benehmen“ bzw. nicht vertrauenswürdig handeln. Wenn nur eine Marktseite Bewertungen über die andere Marktseite abgibt, und diese Bewertungen für die andere Marktseite einige wichtige Rolle spielen, dann ergibt das Möglichkeiten für Erpressungen. Wir haben das auch auf eBay beobachtet: ausgehend von einem zweiseitigen System wurde dort vor einigen Jahren die Möglichkeit für Verkäufer abgeschafft, negatives Feedback über den Käufer abzugeben. Das macht das Feedback-System essentiell zu einem einseitigen System. Der Gedanke dahinter war, dass Käufer ja in fast allen Transaktionen das Geld zuerst schicken, und sich daher nur der Verkäufer als nicht vertrauenswürdig erweisen kann. Diese Überlegung ignoriert jedoch, dass es auch für Käufer Wege gibt, nicht vertrauenswürdig zu sein. Z.B. können sie die Zahlung verweigern, die Zahlung zurückziehen, oder sich ungerechtfertigt über die Qualität des Produktes beschweren. Wir haben sogar von Fällen gehört, in denen der Käufer dem Verkäufer geschrieben hat, dass er das Produkt sehr mag, und gern noch ein weiteres kostenlos dazu hätte, ansonsten würde er ein negatives Feedback hinterlassen. Verkäufer fühlen sich demgegenüber oft machtlos. Leider gibt es dazu bisher keine umfangreichen belastbaren Daten, die meisten Einsichten basieren auf Anekdoten. Die Kunst des Designs eines funktionierenden Feedback-Systems ist die diffizile Balance von Möglichkeiten der gegenseitigen Sanktion. Diese Balance hängt von den zugrundeliegenden Marktgegebenheiten und bestimmt das Gleichgewicht im Marktteilnehmerverhalten, welches sich letztendlich auf der Plattform einstellt.
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