Was ist das für 1 Tweet?

So oder ähnlich könnte eine erste Fragestellung von Ursula Lutzky, Researcher of the month und Assistenzprofessorin am Institut für Englische Wirtschaftskommunikation gelautet haben: Lutzky erforscht Kommunikation in Blogs und Microblogs (wie Twitter) und untersucht, wie sich unser Sprachgebrauch an den Online-Kontext anpasst. 

Name: Ursula Lutzky

Jahrgang: 1980

Geburtsort (aufgewachsen in): Niederösterreich

Als Kind wollte ich werden: Astronautin

Darum bin ich Wissenschaftler geworden: vermutlich, da ich immer schon wissbegierig war

Das fasziniert mich an meinem Fachbereich: dass ich einen der wichtigsten Gestaltungsbausteine unseres Alltags erforschen darf – den Sprachgebrauch   

Mein persönliches berufliches Wunschziel: mir immer Freude an meinem Beruf zu bewahren


WU Blog: Was fasziniert Sie so an Sprache im Allgemeinen?

Ursula Lutzky: An Sprache fasziniert mich, dass sie die Grundlage eines Großteils der Handlungen ist, die wir im täglichen Leben ausführen. Man vergisst oft, dass Handeln nicht unbedingt bedeutet, dass man etwas physisch tut und zum Beispiel einen schweren Gegenstand von A nach B trägt, sondern dass die meisten Handlungen durch Sprache ausgeführt werden. Das kann schon früh morgens am Weg in die Arbeit beginnen, wenn unser Zug ausfällt.  Was tun wir in so einer Situation? Wir beschweren uns darüber, wir fordern eine Entschädigung, wir fluchen mitunter, wir entschuldigen uns und wir bedanken uns (vielleicht) für die Bemühungen des Kundenservice. Bei all diesen Tätigkeiten handelt es sich um sogenannte Sprechakte, das heißt wir führen eine Handlung aus, indem wir Sprache verwenden. Und heutzutage tun wir das verstärkt über die sozialen Medien.

WU Blog: Was sind Ihre Lieblings-Kommunikationskanäle (Online und offline)?

Lutzky: Offline: das persönliche Gespräch, da mir der persönliche Kontakt sehr wichtig ist und ich denke, dass wir diesen auch in Zukunft nicht aus den Augen verlieren sollten.

Online: ich mag alle Kommunikationskanäle, die es mir ermöglichen, mit meinen KollegInnen und meiner Academic Community, aber auch meinen FreundInnen und Bekannten leicht in Kontakt zu bleiben. Durch die sozialen Medien ist es möglich, Kontakt rund um den Globus zu halten und das find ich gut.

WU Blog: Bitte beschreiben Sie sich selbst in 140 Zeichen:

Lutzky: Adventuress exploring the world of online interaction, with a passion for corpus linguistics, big data collections, good coffee & travelling (141 characters – exploiting the newfound freedom that the recently doubled character limit provides – one character at a time)

WU Blog: Welches war der schönste Tweet, den Sie je gelesen haben?

Lutzky: Das ist eine schwierige Frage. Ich habe mir bislang noch keinen Tweet ausgedruckt und eingerahmt. Ich bin aber erst letzte Woche wieder über einen sehr amüsanten Tweet gestolpert: jemand hat das Foto eines Plakats getweetet, das Transport for London aufgestellt hatte, um ein „Level 5 Goose Warning“ auszusprechen. Da wurde eine Gans, die anscheinend Bahnsteig 2 in Beschlag genommen hatte, als ‚violent‘ beschrieben und Fahrgäste wurden gewarnt, ihr besser aus dem Weg zu gehen. Nach meinen Erfahrungen mit britischen Gänsen, die mich oft gezwungen haben, beim Laufen entlang eines der Kanäle in Birmingham eine komplett andere Route zu wählen, da ich an ihnen einfach nicht vorbeikam, klingt das für mich gar nicht mal weit hergeholt. Beware of British geese!

„Aus sprachgeschichtlicher Sicht wissen wir, dass es früher schon Situationen gab, in denen versucht wurde, möglichst viel Text in einer Nachricht unterzubringen.“

WU Blog: Vong, I bims, was ist für 1 Life, Oida & Co.: Sprach-Trends verbreiten sich vor allem in Social Media sehr rasch. Ist das nur vorübergehend oder verändert sich Sprache dadurch nachhaltig?

Lutzky: Die Sozialen Medien beeinflussen natürlich den täglichen Sprachgebrauch. Das kann aufgrund eines Zeichenlimits, wie bei Twitter, passieren und die kontextbedingte Abkürzung von Wörtern zur Folge haben, wie im Englischen, wo aus you zum Beispiel einfach nur u wird. Dabei kann es sich aber auch um kreative Konstruktionen handeln, die wie im Fall von bims als Verschmelzung von bin es oder bin’s die grammatikalischen Fehler von Usern aufzeigen und sich durch ihre bewusste Verwendung darüber lustig machen. Ob diese Sprachtrends gekommen sind, um zu bleiben, wird sich zeigen. Aus sprachgeschichtlicher Sicht wissen wir, dass es früher schon Situationen gab, in denen versucht wurde, möglichst viel Text in einer Nachricht unterzubringen. Zum Beispiel beim Verfassen von Briefen hat dies zu Abkürzungen und hochgestellten Buchstaben geführt, wie das Studium älterer Manuskripte zeigt. Gleichzeitig hat es schon öfter Versuche gegeben, die Schreibung von Wörtern an ihre Aussprache anzugleichen. Im Englischen gehen diese bis in das sechzehnte Jahrhundert zurück, als John Hart erste Versuche unternahm, um auf unnötige Buchstaben in der Schreibung von Wörtern zu verzichten. Das spiegelt sich heute auch im regional angehauchten Oida für Alter wider, da in der österreichisch/bayerischen Variante des Worts das <l> sowie das finale <r> nicht gesprochen werden. Ausgehend von den Erkenntnissen, die in der historischen Linguistik erlangt wurden, werden sich vermutlich nicht alle der Neuerungen des Netspeak durchsetzen. Welche davon 1 längerfristige Zukunft haben, bleibt abzuwarten.

„Die Sozialen Medien beeinflussen natürlich den täglichen Sprachgebrauch. Ob diese Sprachtrends gekommen sind, um zu bleiben, wird sich zeigen.“

WU Blog: Twitter wird auch als Medium zur historischen Dokumentation genützt (etwa, um Ereignisse wie beim Arabischen Frühling im Zeitverlauf nachvollziehen zu können – siehe Live-Ticker). Welche Bedeutung kommt Twitter Ihrer Meinung nach heute zu – und wie schätzen Sie die Situation in 50 Jahren ein?

Lutzky: Neue Medien spiegeln oft den Gebrauch älterer Medien wider. So gab es früher Annalen, die in mühevoller Kleinarbeit verfasst wurden, um die geschichtlichen Ereignisse festzuhalten. Sie waren nur einem kleinen Kreis zugänglich, teuer in der Produktion und Distribution sowie nicht immer objektiv. Heute haben wir mit Twitter ein Medium, das einer Vielzahl von Menschen relativ einfach und rasch zugänglich ist, wenig Kosten verursacht, mitunter verschiedene Perspektiven auf dasselbe Thema präsentiert, und das alles in Realtime. Und so zeigt sich, dass im Wandel der Zeit unterschiedliche Medien zum Zwecke der historischen Dokumentation genutzt werden. Die Annalen haben sich im englischsprachigen Raum über Jahrhunderte gehalten. Selbst wenn Twitter daran wohl nicht herankommen wird, schmälert dies keineswegs die Bedeutung der Plattform in diesem Bereich. Inwiefern sich Twitter noch 50 Jahre lang in dieser oder einer anderen Funktion halten wird, steht jedoch in den Sternen.

WU Blog: Gibt es Kommunikationskanäle, über die Menschen häufiger ihren Frust herauslassen als auf anderen? Welchen würden Sie als „Schimpf-Kanal“ bzw. als „Wohlfühl-Kanal“ bezeichnen?

Lutzky: Ich glaube nicht, dass man das so streng trennen kann, da viele Faktoren wie der situative und kulturelle Kontext eine Rolle spielen. Das österreichische ‚Sudern‘ kann ja auch kaum auf bestimmte Kommunikationskanäle eingeschränkt werden. Das Internet bietet die Möglichkeit seine Meinung auszudrücken und das oft anonym. Dies kann als eine Art „Freibrief“ angesehen werden, einfach mal loszuschimpfen und Phänomene wie „Trolling“ verstärken. Anonymität hat jedoch nicht unbedingt zur Folge, dass eine bestimmte Plattform oder ein Kommunikationskanal überwiegend als „Schimpf-Kanal“ genutzt wird. Zum Beispiel wird die Kommentarfunktion vieler Webseiten oft als Nährboden für negative Ausbrüche angesehen. Meine Forschung mit Andrew Kehoe hat jedoch gezeigt, dass das für Blogs nicht durchgehend der Fall ist und User in ihren Kommentaren die Phrase I agree wesentlich häufiger verwenden als I disagree.

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