Können selbstfahrende Autos die Verkehrssicherheit erhöhen?
Der Frage, ob risikofreudige AutofahrerInnen auch höher versichert sind, widmet sich Researcher of the month 02/19 Alexander Mürmann in seiner Forschungsarbeit. Dabei fand er heraus, dass das Verhältnis der FahrerInnen zum eigenen Können bzw. der Versicherungshöhe unter Umständen recht ambivalent ausfallen kann. Wir haben den Professor für Risk Management and Insurance am WU Department für Finance, Accounting and Statistics zum Interview gebeten und gefragt, wie sich selbstfahrende Autos auf zukünftige Versicherungsverträge auswirken könnten.
Name: Alexander Mürmann
Jahrgang: 1971
Geburtsort (aufgewachsen in): Heidelberg (D)
Als Kind wollte ich werden: Ich erinnere mich nicht daran, als Kind einen spezifischen Berufswunsch gehabt zu haben.
Darum bin ich Wissenschaftler geworden: Es fällt mir schwer, diese Frage im Nachhinein zu beantworten. Sicherlich habe ich nicht lange im Voraus geplant, Wissenschaftler zu werden, zufällig ist es aber auch nicht geschehen. Zum einen bin ich immer den Interessen vertiefend nachgegangen, die mich besonders fasziniert haben und bei denen ich ein für mich sehr klares Verständnis hatte. Zum anderen hat mich ein Professor in seiner Art, stets über eine Fragestellung nachzudenken, diese aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten und mit mir mögliche Lösungsansätze zu diskutieren, sehr geprägt.
Das fasziniert mich an meinem Fachbereich: Versicherung ist im Kern ein immaterielles, abstraktes Produkt, welches seit Jahrtausenden einen wichtigen Mehrwert für die Menschheit schafft. Zudem fasziniert mich, dass „mein“ Fachbereich, wie auch andere Bereiche der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften, aus der Überschneidung vieler Fachbereiche besteht, wie zum Beispiel Finanzierung, Entscheidungstheorie, Organisationstheorie, betriebliche und volkswirtschaftliche Wirtschaftslehre und Statistik.
Mein persönliches berufliches Wunschziel: … ist ein gewichtetes Mittel aus Anerkennung in der wissenschaftlichen „community“ meines Fachbereichs, Relevanz meiner Forschungsarbeiten für Gesellschaft und Wirtschaft und Ausbildung von Studierenden und NachwuchswissenschaftlerInnen. Die relativen Gewichte dieser einzelnen Ziele ändern sich über die Zeit.
WU Blog: Wer viel fährt, gilt im Allgemeinen als versierter Autolenker. Tatsächlich sind VielfahrerInnen aber ein höheres Risiko für die Verkehrssicherheit, wie Sie festgestellt haben. Worin begründet sich diese Diskrepanz zwischen allgemeiner Wahrnehmung und erforschten Resultaten?
Alexander Mürmann: Diese scheinbare Diskrepanz beruht auf zwei gegenläufigen Effekten. Wer länger und häufiger fährt, setzt sich länger dem Risiko eines möglichen Unfalls, der auch von anderen AutofahrerInnen beeinflusst wird, aus. Wenn ich zum Beispiel überhaupt nicht fahre, besteht die Möglichkeit eines Unfalls ja gar nicht. Der gegenläufige Effekt ist der, den Sie ansprechen. Gerade bei Führerscheinneulingen ist die Lernkurve besonders steil. Wer häufiger und länger fährt, lernt unterschiedliche Gefahrensituationen kennen und wird darüber zum/r „versierteren“ AutofahrerIn. Unsere statistischen Analysen haben in der Tat ergeben, dass zwar bei allen AutofahrerInnen häufigeres und längeres Fahren das Unfallrisiko erhöht, dieser Effekt aber bei VielfahrerInnen weniger stark ausgeprägt ist als bei WenigfahrerInnen.
„Wenn ich zum Beispiel überhaupt nicht fahre, besteht die Möglichkeit eines Unfalls ja gar nicht.“
WU Blog: In Ihrer Forschungsarbeit haben Sie eine Vielzahl unterschiedlicher Versicherungsverträge unter die Lupe genommen. Warum versichern sich so häufig Menschen unabhängig von ihrem Fahrverhalten bzw. der Risikobereitschaft?
Alexander Mürmann: Es gibt sicherlich mehrere Erklärungen für den nichtsystematischen Zusammenhang von „Fahrprofilen“ und Wahl der Versicherungsverträge. AutofahrerInnen könnte der Einfluss ihres Fahrverhaltens auf das Unfallrisiko nicht so bewusst sein, dass sie darauf basierend den optimalen Versicherungsvertrag wählen. Zudem gibt es Evidenz dafür, dass wir Menschen nicht-finanzielle Risiken (Unfall und Verletzung durch Autofahren) und finanziellen Risiken sehr unterschiedlich bewerten. Bei Unfällen denken wir eher an Verletzungen als an die finanziellen Folgen.
„Bei Unfällen denken wir eher an Verletzungen als an die finanziellen Folgen.“
WU Blog: Was sollten Versicherungsangestellte unternehmen, um die beste Versicherung für VielfahrerInnen (die lt. Ihrer Studie das höchste Risiko darstellen) zu vergeben – welche Möglichkeiten haben sie im Vorfeld, das Risikoverhalten ihrer KundInnen einzuschätzen?
Alexander Mürmann: Versicherungsangestellte sollten das Risikobewusstsein ihrer KundInnen im Hinblick auf häufiges und längeres Fahren schärfen. Zudem besteht die Möglichkeit über telematische Systeme, diese Fahraspekte zu messen, als Tarifierungsmerkmale mitaufzunehmen und finanzielle Anreize zu setzen, sein Fahrverhalten dahingehend zu verändern, dass ein geringeres Unfallrisiko resultiert.
WU Blog: In Zukunft werden immer mehr selbstfahrende Autos auf den Straßen unterwegs sein: Wie könnte sich das Ihrer Meinung nach auf das Risiko für andere VerkehrsteilnehmerInnen bzw. auf Versicherungsverträge auswirken?
Alexander Mürmann: Die Entwicklung selbstfahrender Autos verschiebt die Benutzerschnittstelle zwischen Mensch und Maschine (Auto) in Richtung Maschine. Dies wirft spannende Fragen in vielen Bereichen auf. Einhergehend mit der Veränderung dieser Schnittstelle werden Haftpflichtrisiken der Kraftfahrzeug- und Technologieunternehmen, die selbstfahrende Autos herstellen, an Relevanz gegenüber privaten Haftpflichtrisiken der AutofahrerInnen zunehmen, da bei technischem Versagen die Hersteller die Haftung übernehmen werden müssen.
Bei entsprechend weit entwickelter Technologie sehe ich das Potenzial, Unfallrisiken für alle VerkehrsteilnehmerInnen zu reduzieren. Interessant finde ich in diesem Zusammenhang den Aspekt, dass aufeinander abgestimmte, selbstfahrende Autos dahingehend einen positiven Einfluss auf andere VerkehrsteilnehmerInnen haben können, indem sie einen gleichmäßigeren Verkehrsfluss forcieren, dadurch die Verkehrsdichte und das einhergehende Unfallrisiko reduzieren können.