„So ganz stimmt es wohl nirgends, dass die Öffis immer pünktlich sind.“

WU-Verkehrsökonomin und Researcher of the month 01/19 Stefanie Peer untersucht in ihren Forschungsarbeiten, wie Personen mobilitätsbezogene Entscheidungen treffen. In einer ihrer letzten Studien konnte sie nachweisen, dass ÖsterreicherInnen eher bereit sind, für eine verkürzte Reisezeit im Auto zu bezahlen, als für die Verkürzung der Reisezeit im Öffentlichen Verkehr. Wir haben die Forscherin gefragt, ob die Öffis wirklich so unpünktlich sind wie oft behauptet wird und warum es so schwierig ist, Kosten-Nutzen-Analysen in die Tat umzusetzen.

Name: Stefanie Peer

Jahrgang: 1985

Geburtsort (aufgewachsen in): Ried im Innkreis

Als Kind wollte ich werden: Ich kann mich nicht wirklich erinnern, aber Interviews zu Verkehrsthemen habe ich auch schon in jungen Jahren gegeben 😉 (siehe Zeitungsausschnitt unten).

Darum bin ich Wissenschaftlerin geworden: ich schätze vor allem die Freiheit, die man in der Wissenschaft hat, um an den Themen zu arbeiten, die man spannend findet und besser verstehen möchte.

Das fasziniert mich an meinem Fachbereich: Dass sich im Bereich Transportökonomie gerade sehr viel verändert, einerseits auf der technologischen Seite (v.a. Elektromobilität, autonomes Fahren, Sharing), anderseits aber auch auf der Nachfrageseite: zum Beispiel sieht man einen Trend, dass hochwertiger öffentlicher Verkehr vermehrt genützt wird, unter anderem auch weil die Zeit unterwegs gut genutzt werden kann.

Mein persönliches berufliches Wunschziel: Einen Beitrag zu leisten, dass sich das Verkehrssystem in Richtung einer nachhaltigen Zukunft bewegt.


WU Blog: In Ihrer Forschung setzen Sie sich intensiv mit der Wahl der Verkehrsmittel auseinander, und ob ÖsterreicherInnen lieber kürzer unterwegs sind oder komfortabler. Was ist Ihnen persönlich wichtiger – schnell ankommen oder komfortabel zu reisen?

Stefanie Peer: Das kommt ganz auf den Kontext an. Oft ist es natürlich wichtig, möglichst schnell von A nach B zu kommen. Wenn ich aber die nötige Zeit habe, reise ich lieber komfortabel.

WU Blog: Welches ist ihr bevorzugtes Verkehrsmittel?

Stefanie Peer: Wenn das Wetter passt, fahre ich sehr gerne mit dem Rad. Für längere Strecken nutze ich, wenn möglich, die Bahn.

WU Blog: Sie kritisieren, dass die Daten zu Veränderungen des Komforts in Kosten-Nutzen-Analysen häufig nicht in Infrastrukturprojekte einfließen – was könnten Gründe sein, dass diese wichtigen Faktoren kaum berücksichtigt werden?

Stefanie Peer: Ein Hauptgrund ist sicher, dass es gar nicht so einfach ist, Veränderungen im Komfort in Kosten-Nutzen-Analysen einzubauen. Man muss dafür ja zuerst wissen, wie viel Reisende für Verbesserungen im Komfort bereit sind zu zahlen. Die Zahlungsbereitschaften werden zumeist in sogenannten „Stated Preference Experiments“ erhoben, in denen sich Personen zwischen hypothetischen Alternativen (die sich u.a. hinsichtlich Kosten, Reisezeit, Zuverlässigkeit und Komfort unterscheiden können) entscheiden müssen. Darüber hinaus benötigt man ein Nachfragemodell, auf Basis dessen man vorhersagen kann, wie sich Veränderungen im Komfort auf die Anzahl der Reisenden auswirkt.

WU Blog: Gibt es aktuell Infrastrukturprojekte, die aus Ihrer Sicht gar nicht oder besonders sinnvoll sind?

Stefanie Peer: Bei vielen Bahn- und Straßeninfrastrukturprojekten, die in hoch entwickelten Ländern aktuell geplant bzw. durchgeführt werden, deuten Kosten-Nutzen Analysen darauf hin, dass die volkswirtschaftlichen Kosten überwiegen. Das ist vor allem deshalb der Fall, weil in solchen Ländern die Baukosten tendenziell hoch sind, und außerdem die bestehende Infrastruktur oft schon so gut ausgebaut ist, dass die Verbesserungen nicht substantiell sind. In solchen Ländern ist es oft zielführender in lokalen ÖV und in Radinfrastruktur zu investieren. Vor allem bei letzterer ist es meist so, dass der volkswirtschaftliche Nutzen höher ist als die Kosten, da die Kosten für den Bau und die Instandhaltung von Radinfrastruktur relativ niedrig sind. Studien, unter anderem auch mit WU-Studierenden, haben gezeigt, dass das Vorhandensein eines getrennt von der Straße geführten Radwegs, zu einem höheren Radfahranteil führt, was wiederum den ÖV (und bedingt auch den Straßenverkehr) entlastet.

„Der subjektive Eindruck von mangelnder Pünktlichkeit des ÖV ergibt sich oft aus einzelnen negativen Erfahrungen, die die Einschätzung überproportional stark beeinflussen.“

WU Blog: Sie stellen in Ihrer Forschung eine hohe Qualität des öffentlichen Verkehrs fest (in puncto Pünktlichkeit). Diese wird subjektiv häufig anders beurteilt – ist es wirklich so, dass in Österreich die Öffis immer pünktlich sind?

Stefanie Peer: So ganz stimmt es wohl nirgends, dass die Öffis immer pünktlich sind (am ehesten in Japan, wo sich Bahnbetreiber sogar für Abweichungen von 25 Sekunden entschuldigen müssen. Der Bahnverkehr ist allerdings auch in Österreich recht pünktlich. Das gleiche gilt für das Wiener ÖV-Netz, einerseits, weil es in weiten Teilen auf Schienen und getrennt vom normalen Straßennetz verläuft, und andererseits, weil die hohen Nutzerzahlen auch hohe Frequenzen ermöglichen. Dies bedeutet wiederum, dass etwaige Verspätungen zu relativ geringen zusätzlichen Wartezeiten führen, weil der Zeitabstand zur nächsten Verbindung gering ist. Die größten Probleme hinsichtlich Pünktlichkeit sehen wir in Österreich in den mittelgroßen Städten. Dort teilt sich oft der ÖV den Straßenraum mit dem Autoverkehr und steht somit genauso im Stau. Außerdem wird der ÖV aufgrund der vergleichsweise geringen Nutzerzahlen meist mit niedrigeren Frequenzen geführt. Der subjektive Eindruck von mangelnder Pünktlichkeit des ÖV ergibt sich oft aus einzelnen negativen Erfahrungen, die die Einschätzung überproportional stark beeinflussen.

WU Blog: Was sind die nächsten Schritte, die Sie in Ihrer Forschungsarbeit setzen werden?

Stefanie Peer: Ich beschäftige mich zurzeit unter anderem mit den Auswirkungen von monetären Anreizen auf das Pendelverhalten: sind Pendler aus NÖ, die in Wien arbeiten, bereit im Gegenzug für eine Belohnung, das Auto stehen zu lassen und anstatt dessen mit den Öffis oder nichtmotorisierten Verkehrsmittel zu fahren? Unsere ersten Ergebnisse deuten darauf hin, dass nur wenige Pendler auf solche Anreize reagieren, unter anderem weil sich ihre Reisezeit dadurch in den meisten Fällen beträchtlich verlängert und sie in ihrer Flexibilität eingeschränkt werden.