„Wissenschaftliche Experimente helfen uns, die Welt besser zu verstehen“
Als Researcher of the month 01/18 erforscht Kathrin Figl vom Institut für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien die Möglichkeiten, mit denen sich komplexe Prozesse möglichst verständlich abbilden lassen. Was sie privat an ihrem Fachgebiet reizt und welche Elemente helfen können, um Modelle besser zu verstehen, erläutert sie am WU Blog.
Name: Kathrin Figl
Jahrgang: 1980
Geburtsort (aufgewachsen in): Wien
Als Kind wollte ich werden: Richterin
Darum bin ich Wissenschaftlerin geworden: Ich habe mich nie mit einfachen Antworten zufrieden gegeben, sondern ich wollte gerne verstehen, warum unsere Welt so ist, wie sie ist. In meinem ersten Semester an der Universität Wien im Jahr 1998 war ich tief beeindruckt von den Experimenten, die in einer Vorlesung über kognitive Psychologie präsentiert wurden. Mich faszinierte, wie in der Wissenschaft Experimente oder auch fragebogenbasierte Studien genützt werden können, um neue Erkenntnisse zu gewinnen und so unsere Welt ein bisschen besser zu verstehen. Seit damals war es mein Wunsch, mein Leben der Wissenschaft zu widmen und dieser Berufung bin ich nun fast 20 Jahre meines Lebens gefolgt.
Das fasziniert mich an meinem Fachbereich: Ich bin sehr froh, dass ich das Studium der Wirtschaftsinformatik mit dem Fach Psychologie kombiniert habe, auch wenn in meiner Studienzeit noch gar nicht absehbar war, dass es heutzutage so viele gesellschaftlich relevante Forschungsfragen an der Schnittstelle dieser beiden Disziplinen gibt. Damals wurden in vielen Vorlesungen noch Overhead-Folien oder Tafel und Kreide statt z.B. PowerPoint verwendet. Auch Lernplattformen wie Learn@WU waren noch nicht verbreitet. Mittlerweile hat sich unser Alltag durch die Digitalisierung stark gewandelt, so dass digitale Informations- und Kommunikationssysteme nicht nur fester Bestandteil der Studien- und Arbeitswelt sind, sondern auch längst unseren privaten Alltag (z.B. durch Smartphones) mitbestimmen. Das bringt für die Wirtschaftsinformatik neue Herausforderungen mit sich, aber auch viele neue nutzerzentrierte Gestaltungsmöglichkeiten, für deren Entwicklung kognitionspsychologische Theorien wesentliche Impulse geben können.
Mein persönliches berufliches Wunschziel: In Kürze folge ich meinem Erstruf auf eine (befristete) Professur für Wirtschaftsinformatik an der Universität Innsbruck, was mir die Fortsetzung meines beruflichen Weges ermöglicht. Ich freue mich schon auf die neuen Herausforderungen und Aufgaben in einem ebenfalls tollen Forschungsteam und hoffe, dass mich diese Tätigkeit ein Stückchen der Erfüllung meines beruflichen Wunsches näherbringt, mich dauerhaft der Forschung und Lehre widmen zu können.
WU Blog: Woher kommt es, dass so viele Menschen visuelle Modelle besser verstehen als Texte, wenn es um das Verständnis von Prozessmodellen geht? Womit hängt das zusammen?
Kathrin Figl: Generell gibt es keine Einheitslösung für die beste Prozessdarstellung, da diese vom Anwendungskontext und den NutzerInnen abhängig ist. Ein Erfolgsgeheimnis von einfachen visuellen Prozessmodellen liegt darin, dass sie generelle Mechanismen unserer visuellen Wahrnehmung nützen, die nicht erst „erlernt“ werden müssen, z.B. wie wir Elemente erkennen und interpretieren oder warum wir Elemente als zusammengehörige Einheiten wahrnehmen: Wenn z.B. in einem Prozessmodell Aktivitäten (wie „Prüfung benoten“, „Noten veröffentlichen“) mit rechteckigen, geschlossenen Linien umrandet werden, nehmen wir sie als visuelle Objekte wahr, und verbindende Linien zwischen ihnen lassen uns leicht erkennen, dass sie miteinander in Beziehung stehen. Eine räumliche Anordnung der Arbeitsschritte, z.B. von links-nach-rechts, und auch die Verwendung gerichteter Kanten (d.h. Pfeile) legen die Interpretation eines zeitlich-logischen Ablaufs nahe. So wissen wir aus Studien, dass NutzerInnen auch ohne Ausbildung in der Prozessmodellierung dazu tendieren, einen Prozess als eine Art Flussdiagramm darzustellen und Grundelemente von Prozessmodellen intuitiv richtig zu interpretieren. Zudem haben Prozessmodelle gegenüber einem Fließtext noch einen weiteren Vorteil – sie fokussieren auf die wesentlichen Elemente des Prozesses und blenden irrelevante Details aus. Das bisher Dargelegte trifft allerdings vor allem auf sehr einfach gehaltene Prozessmodelle zu.
„Modelle blenden irrelevante Details aus“
Um eine graphische Prozessmodellierungssprache wie die Business Process Model and Notation (BPMN) im vollen Sprachumfang zu beherrschen und die genaue Bedeutung aller Symbole zu kennen, ist ein erheblicher Lernaufwand notwendig. Das liegt auch daran, dass es nicht das einzige Ziel der Prozessmodellierung ist, Prozesse z. B. für FachanwenderInnen verständlicher zu machen und möglichst einfach darzustellen, sondern dass Prozessmodelle auch als Grundlage für die Ausführung, Überwachung und Optimierung von Geschäftsprozessen dienen. Die BPMN kombiniert diese sehr unterschiedlichen und zum Teil konträren Ziele ganz gut und erreicht einen vorteilhaften Trade-Off zwischen hoher Ausdrucksstärke und Präzision sowie intuitiver Verständlichkeit (z.B. durch eine schrittweise Verfeinerung der Basissymbole), sodass zumindest die Grundbedeutung komplexerer Modelle auch für ungeschulte MitarbeiterInnen nachvollziehbar sein sollte.
WU Blog: Wenn ein Studierender z.B. für seine Abschlussarbeit nun selbst einen komplexen Prozess bildhaft darstellen möchte: Woran kann er sich bei der Erstellung eines solchen Modells orientieren – gibt es etwas wie eine Richtlinie, anhand derer man die einzelnen Gedanken ordnen/sortieren kann?
Kathrin Figl: Grundsätzlich ist die Tätigkeit der Modellierung selbst, also die aktive Erstellung eines Modells, besonders hilfreich, um einzelne Gedanken zu ordnen und zu sortieren, und je nach Modellzweck zu bestimmen, welche Prozesselemente weggelassen und welche betont werden sollen. Wenn man ein eigenes mentales Modell in ein visuelles Modell „externalisiert“, gibt die gewählte Modellierungssprache vor, was überhaupt ausgedrückt werden kann. In der Lehrveranstaltung „Betriebliche Informationssysteme II“ haben sehr viele Studierende an der WU eine Prozessmodellierungssprache erlernt und konnten praktische Modellierungserfahrung sammeln.
Wie bei anderen komplexen kognitiven Aufgaben ist es sinnvoll, die Modellerstellung in einfachere Teilaufgaben zu teilen und diese seriell zu bearbeiten. Eine beliebte und effiziente Vorgehensweise ist z.B., sich schrittweise gründlich auf einzelne Modellierungsblöcke entsprechend der Kontrollflussstruktur des Prozesses zu konzentrieren und diese weitgehend zu finalisieren, bevor am nächsten Block gearbeitet wird. Bei der so genannten „aspektorientierten“ Aufteilungsstrategie wird der Fokus zuerst darauf gelegt, alle Arbeitsschritte im Prozess zu modellieren, dann den zeitlich-logischen Ablauf und am Schluss das Layout zu verfeinern – diese Strategie hat auch einen positiveren Effekt auf die Modellqualität als eine völlig ungerichtete Modellierungsstrategie.
WU Blog: Welche Tools empfehlen Sie Studierenden verwenden, um selbst Prozesse gut darstellen zu können?
Kathrin Figl: Es gibt am Markt verschiedene Anbieter, die Studierenden kostenlos Modellierungswerkzeuge zur Verfügung stellen. Spontan fallen mir folgende ein, mit denen ich in den letzten Jahren öfter zu tun hatte, aber es gibt noch viel mehr: ARIS Architect & Designer von der Software AG, welches wir auch in der Lehrveranstaltung Betriebliche Informationssysteme 2 einsetzen, Signavio, welches mir persönlich vom Interaktionsdesign her besonders gut gefällt, und Omnilab Bee-up, bzw. Adonis von der BOC Group, einem Spin-off der Universität Wien.
WU Blog: Sie erforschen Prozessmodelle – sind Sie auch selbst eine Person, für die Chaos ein Fremdwort ist und die sehr strukturiert Step-by-step arbeitet?
Kathrin Figl: Ich persönlich verwende Kalender und To-Do-Listen als Cloud-basiertes Service, sodass ich von allen meinen Endgeräten darauf zugreifen kann. Meine To-Do-Liste ist immer viel länger als die zur Verfügung stehende Zeit, und in der Wissenschaft könnte man noch immer mehr Artikel schreiben, mehr Projekte einreichen usw., da es so viele spannende, unbeantwortete Forschungsfragen gibt. Daher ist es sehr wichtig, Prioritäten zu setzen, Deadlines zu beachten und strategische Ziele nicht aus dem Auge zu verlieren. Als unsere zwei Kinder kleiner waren, war Chaos trotzdem vorprogrammiert. Ich habe aber einen wundervollen Ehemann, der meine wissenschaftliche Karriere immer unterstützt hat und bin ihm sehr dankbar, dass er die Hauptverantwortung für das Familienmanagement übernommen hat, sonst könnte ich Kinder und Wissenschaft nicht so gut verbinden.
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