Vergleich von Elternkarenzmodellen in Europa
Wie kann man Elternkarenz so gestalten, dass Väter mehr Anreize haben, sich in unbezahlte Familienarbeit einzubringen und gleichzeitig eine möglichst kontinuierliche Erwerbsbiographie von Frauen gefördert wird? Diese Frage beschäftigt nicht nur die Europäische Kommission, sowie viele Politiker/innen auf nationaler Ebene, sondern auch mich im Rahmen meiner Dissertation. Warum habe ich mich gerade diesem Thema gewidmet? Begonnen hat dieses Interesse, wie so oft in der Wissenschaft, mit dem Wundern und Staunen über einen empirischen Sachverhalt. Es war allerorts zu beobachten und gut durch Studien dokumentiert: Junge Paare teilen sich Hausarbeit zu gleichen Teilen, junge Frauen sind ebenso gut am Arbeitsmarkt integriert, wie ihre männlichen Kollegen und es ist kaum ersichtlich, warum es noch so etwas wie Diskriminierung geben sollte. Das war doch eher eine Sache, mit der sich die Generation unserer Mütter und Großmütter herumschlagen musste?! Die junge, nachkommende Generation von Frauen war gut gebildet, hoch motiviert, hatte viel vor und es war klar – am Abend richtet einer das Abendessen, der/die andere macht den Abwasch, gesaugt wird am Wochenende und das abwechselnd, die Wäsche wird von jedem selbst gewaschen. Alles bestens. Doch dann kommt das erste Kind und es tritt ein, was uns viele Studien prognostizieren: die ganze, wunderbar gerechte Arbeitsaufteilung wird über den Haufen geworfen.
Plötzlich gilt es mehrmals am Tag Babypopos zu wickeln, Pastinakenbrei vorzubereiten, Tonnen mehr Wäsche zu waschen und immer wieder Töpfe ins Küchenregal zurück zu räumen, die – nein, es ist wirklich toll, dass die Kleine schon so gut krabbeln kann –zum x-ten Mal aus dem Regal geholt wurden. Es macht überhaupt keinen Sinn mehr Wäsche getrennt zu waschen, also wäscht eine Frau alles für die Familie. Und ja, stillen kann der Papa nicht, deswegen bleibt die Mama gleich einmal das ganze erste Jahr zu Hause. Und dann noch ein zweites, denn die paar Monate Vater-Karenz hat der Arbeitgeber nicht gut geheißen, obwohl der Papa eh wollte. Gut, dass es bald einen Kinderbetreuungsplatz gibt. Leider ist das Kind aber im November geboren. Der Kindergarten nimmt Kinder immer nur im September und erst ab einem Alter von zwei Jahren auf; dann eben noch ein drittes Jahr zuhause bleiben. Gut, dass es fast drei Jahre Kinderbetreuungsgeld gibt, auch wenn der Arbeitsplatzschutz nach dem zweiten Geburtstag des Kindes ausläuft, man wird dann schon etwas anderes finden. Dann kommt die Teilzeitarbeit, weil der Papa viel arbeiten muss und man das Kind nicht 40 Stunden in der Kinderbetreuungsinstitution lassen kann oder will. Und plötzlich ist ganz klar, wer die folgenden 10 bis 20 Jahre zuhause bleibt, wenn das Kind mal krank ist, wer Kindergeburtstage organisiert und wer das Freizeitprogramm koordiniert. Und dann gibt es noch eine sozialpolitische Dimension dazu, denn die Kombination aus dem Kinderbetreuungsgeld, das eher eine traditionelle Arbeitsaufteilung fördert, einer Scheidungsrate von rund 42% und einem Unterhaltsrecht, das für vollerwerbstätige Mütter konzipiert ist, folgen rund 176,000 alleinerziehende Haushalte in Österreich, die in hohem Maße armutsgefährdet sind und später mit erhöhter Wahrscheinlichkeit Bezieher/innen von Mindestpensionen sind.
Das alles ist der Grund, warum ich mich im Rahmen meiner Dissertation mit dem Vergleich von verschiedenen Karenzpolitiken in Europa auseinandersetze. Wussten Sie, dass in Island drei von neun Monaten einer sehr gut bezahlten Elternkarenz für Väter reserviert sind und dort rund 84% der Väter in Karenz gehen? Oder, dass in Schweden zwei der 13 gutbezahlten Karenzmonate für Väter reserviert sind und auch dort fast alle Väter in Karenz gehen? Ungarn hingegen hat eine spezielle Klausel im Karenzgesetz, dass das erste Jahr der Karenz nur von Müttern in Anspruch genommen werden darf. Das macht dieses Studienobjekt besonders spannend: Karenzpolitik und die damit verbundenen Vorstellung, wie sich Mütter und Väter bezahlte und unbezahlte Arbeit teilen variieren stark innerhalb Europas und dies hat auch Konsequenzen. In einer aktuellen Studie, analysiere ich gerade den Zusammenhang zwischen Karenz und der Verteilung der Hausarbeit. Es zeigt sich, dass in Ländern, in denen Elternkarenz eine mittlere Dauer hat, diese gut bezahlt ist und ein Teil für Väter reserviert ist, auch tendenziell die Hausarbeit zwischen Müttern und Vätern gleichwertiger aufgeteilt wird. Also doch wieder abwechselndes Saugen und Wäsche waschen und zwar trotz Kinder.
#Vergleich #Elternkarenzmodelle #Karenz #Forschung #Gleichstellung
Weiterführende Literatur
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Links zur Debatte in Tageszeitungen:
- Studie: 14 Monate Karenz sind ideal (derstandard.at)
- Fast ein Drittel sieht Geldverdienen als Aufgabe der Männer (derstandard.at)
- Netflix gegen das Gesetz – zugunsten von Eltern (derstandard.at)
- Optimale Karenz: 14 Monate, gut bezahlt (orf.at)
- When Family-Friendly Policies Backfire (nytimes.com)
- Can Family Leave Policies Be Too Generous? It Seems So (nytimes.com)
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Links zu Podcast und Fernsehbeiträgen:
- Väterkarenz zahlt sich aus! (puls4.com)
- Helene Dearing über Elternkarenzmodelle (stimmen.univie.ac.at)
Internation Network on Leave Policies and Research
How to assess European leave policies regarding their compliance with an ideal leave model by Helene Dearing
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Mir gefällt das Thema dieser Dissertation außerordentlich! Gesellschaftlicher Wandel findet in der Erziehung statt. Je mehr man Eltern dabei unterstützt Gleichberechtigung zu leben, desto rascher verändern sich Rollenbilder. Bitte die Ergebnisse unbedingt an Frau Karmasin weitergeben und promoten. Alles Gute!
Hallo Rammui! Danke für deinen Kommentar – freut uns, dass du die Dissertation interessant findest.
Liebe Anna,
vielen Dank für dein nettes Feedback! Wir werden uns bemühen 🙂