Unterwegs in die digitale Zukunft
Die Digitalisierung verändert die Wirtschaft und unser Zusammenleben, so viel steht fest. Internet of Things, Künstliche Intelligenz, Disruption und Blockchain sind die Schlagwörter der Transformation. Welche Chancen ergeben sich und welche neuen Berufsbilder entstehen daraus? Dieser Beitrag erschien zuerst im WU Magazin 03/19 als Beilage zur Tageszeitung Die Presse.
In genau einem Jahr startet die Weltausstellung Expo 2020 Dubai. Dann wird das 4,4 Quadratkilometer große Gelände für die darauffolgenden fünf Monate als Versuchslabor für eine Smart City dienen. Sensoren mit insgesamt 200.000 Datenpunkten werden Funktionen von 137 Gebäuden wie Klimatisierung, Energieverbrauch, Beleuchtung, Fahrstühle, Luftqualität und Brandmeldeanlagen via IoT (Internet of Things)-Betriebssystem überwachen und steuern. Das Szenario soll den Einfluss von Digitalisierung auf das urbane Leben in absehbarer Zeit untersuchen. Eines gilt jedoch schon heute: Nur weil ein Prozess elektronisch unterstützt wird, funktioniert er noch nicht automatisch besser. Digitalisierung ist keine Errungenschaft der letzten paar Jahre. „Die meisten Unternehmen haben in den letzten drei Jahrzehnten eine digitale Transformation durchlaufen, je nachdem, was ihr Geschäftsmodell erfordert“, meint Sarah Spiekermann-Hoff, Professorin für Information Systems and Society an der WU.
„Die meisten Unternehmen haben in den letzten drei Jahrzehnten eine digitale Transformation durchlaufen, je nachdem was ihr Geschäftsmodell erfordert.“
Die Betriebe haben ihre Produktion automatisiert, verfügen zumindest über eine Website und erlauben KundInnen, Produkte oder Dienstleistungen über das Internet zu bestellen. Bereits Ende der 1980er-/Anfang der 1990er-Jahre gab es Computer Integrated Manufacturing und später, Anfang der 2000er-Jahre, Advanced-Planning-Systeme, mit denen umfassende Planungskonzepte und -methoden eingekauft wurden, aber nur ein Bruchteil davon auf betrieblicher Ebene zum Einsatz kam. „Es ist zweifelsohne eine große Herausforderung für Betriebe, all diese bestehenden bzw. neuen Möglichkeiten zu nutzen“, berichtet Gerald Reiner, Professor am WU-Institut für Produktmanagement.
„Digitale Produktion wird gemeinsam mit automatisierten und autonomen Systemen einen Beitrag leisten, um die Wettbewerbsfähigkeit der produzierenden Industrie in Europa aufrechtzuerhalten.“
Er ist der Meinung, dass digitale Produktion gemeinsam mit automatisierten und autonomen Systemen einen Beitrag leisten werde, die Wettbewerbsfähigkeit der produzierenden Industrie in Europa aufrechtzuerhalten. Reiner: „Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz hat ein großes Potenzial, wobei die Gefahr besteht, dass MitarbeiterInnen die daraus resultierenden Ergebnisse nicht verstehen und die Akzeptanz dadurch relativ schnell verloren geht.“
Disruption durch Digitalisierung
Innovationen, die dafür sorgen, dass bestehende Strukturen in Unternehmen oder in einem Wirtschaftszweig aufgebrochen und ersetzt werden, werden als disruptiv (to disrupt = zersprengen) bezeichnet. Wirklich disruptiv sind aber nur wenige Technologien, ist Spiekermann-Hoff überzeugt. Ein Beispiel ist der 3D-Druck, der für einige Branchen große Veränderungen nach sich ziehen könnte, wenn er ähnlich hohe Qualitäten erbringen kann, wie die klassische Fertigung. Wenn man etwa mit dem 3D-Drucker Glas drucken kann, dann hat das für Glasherstellungsunternehmen Konsequenzen. Oft geschieht Disruption durch Digitalisierung. „Die meisten Unternehmen sind ja nicht von Haus aus digital“, erklärt Christopher Lettl, Professor am WU-Institut für Strategie, Technologie und Organisation. „Auch große heimische Betriebe wie Magna oder Andritz stellen physische Produkte her. Jetzt geht es darum, zu schauen, wie man zwischen Online- und
Offline-Synergien kreieren kann.“ Wollen Unternehmen die zurzeit laufenden Veränderungsprozesse für sich nützen, so rät er zum Aufbau von Plattformen. Lettl: „In Plattformen können sich viele UserInnen einbringen und Ideen für Innovationen entwickeln.
„Bei ,Mobility as a Service‘ sehen wir, dass nicht mehr unterschiedliche Verkehrsmittel im Vordergrund stehen, sondern die Verknüpfung untereinander mittels digitaler Medien.“
Das erfordert ein komplettes Umdenken bei den Unternehmen. Anreize müssen geschaffen werden, damit es für die AkteurInnen attraktiv wird, Ressourcen bereitzustellen und Transaktionen zu tätigen.“ Internationale AnbieterInnen wie Google trachten bereits danach, eine Plattform zu entwickeln, die als zentraler Hub alle VerkehrsdienstleisterInnen integriert. Gewünschter Nebeneffekt für die Betreibenden der Plattform: Provisionen von allen TransportdienstleisterInnen kassieren. „Bei ,Mobility as a Service‘ sehen wir, dass nicht mehr unterschiedliche Verkehrsmittel wie Pkw, Fahrrad, E-Scooter, Züge oder das Flugzeug im Vordergrund stehen, sondern die Verknüpfung untereinander mittels digitaler Medien“, erklärt Sebastian Kummer, Vorstand des WU-Instituts für Logistik und Transportwirtschaft. „Die einzelnen Player im System sind allerdings skeptisch. Die Blockchain-Technologie könnte eine Partnerschaft zwischen KundInnen und den VerkehrsdienstleisterInnen ermöglichen, indem Smart Contracts abgeschlossen werden, sodass keine Plattform mehr nötig ist. Eine Mobilitätstechnologie könnte zum
Beispiel der österreichische Staat zur Verfügung stellen, mit der der Austausch direkt funktioniert.“
Digitalisierung, die Arbeit schafft
Wie sieht es mit dem Verlust von Arbeitsplätzen infolge der Digitalisierung aus, ein gewichtiges Argument, das häufig als Schreckgespenst herhalten muss? Gerald Reiner zitiert die berühmt gewordene Studie von Frey & Osborne aus 2017, die besagt, dass 47 Prozent der Jobs in den USA gefährdet seien, vor allem in Transport, Logistik, Produktion, aber auch in der Dienstleistung. Die Studienautoren gingen der Frage nach, was wegfallen und welche Jobs relativ rasch, in der nächsten bzw. übernächsten Dekade automatisiert werden könnten, berücksichtigten dabei aber nicht, welche Jobs neu geschaffen werden. Ein Wandel sei vor allem bei „Massenberufen“ wie KassiererIn oder BuchhalterIn zu erwarten. Spiekermann-Hoff: „Wenn wir regulieren, wie wir das etwa jetzt bei Uber tun und hier klug voranschreiten, dann kann die Gesellschaft langsam, aber stetig umgestellt werden.“
„In Plattformen können sich viele UserInnen einbringen und Ideen für Innovationen entwickeln. Das erfordert ein komplettes Umdenken bei den Unternehmen.“
Mit der Situation am Arbeitsmarkt beschäftigt sich auch Logistikprofi Kummer. Sein Forschungsbereich betrifft eine Wachstumsbranche, es gibt nur wenige Industrien, in denen so viele Beschäftigungsmöglichkeiten im letzten Jahrzehnt geschaffen worden sind, wie in der Logistik. Kummer: „In den nächsten Jahren muss man sich keine Sorgen um die Arbeitsplätze machen. Durch den Boom des Onlinehandels werden zum Beispiel sehr viele AuslieferungsfahrerInnen benötigt. Die Zustellung in Häusern ist oft sehr schwierig, denn niemand will Drohnen vor dem Fenster haben.“
Neue Berufsbilder entstehen
Jobprofile verändern sich und mit ihnen die Anforderungen an die MitarbeiterInnen. Zum Beispiel für Data Scientists: Sie sollten in Mathematik und Informatik ausgebildet sein, über Domain-Wissen verfügen und außerdem analytische und gute kommunikative Fähigkeiten mitbringen. Welchen Nettoeffekt die Digitalisierung in einem bestimmten Land auf Arbeitsplätze haben wird, ist noch schwer abzuschätzen. „In der Summe bin ich aber davon überzeugt, dass ein Zuwachs an Arbeitsplätzen durch neue Berufsbilder entstehen kann“, schätzt Jonas Puck, Professor am WU-Institut für International Business, die Lage ein. Bei vergangenen Automatisierungswellen in der Weltwirtschaft wurde ein Verlust von Arbeitsplätzen befürchtet, das Gegenteil war aber der Fall.
„Im Jahr 2030 werden Entscheidungen von ManagerInnen durch neue Technologien unterstützt und in Teilen möglicherweise ersetzt werden.“
Zu den neuen Berufsbildern gehört letztlich auch die Verankerung der Digitalisierung auf Vorstandsebene mittels der Position Chief Digital Officer (CDO). Diese hat eine Querschnittsfunktion, die alle organisatorischen Funktionsbereiche umfasst, und erfordert eine Person, die strategisch denkt und mit anderen Chief Officers eng zusammenarbeitet. Strategieexperte Lettl gibt zu bedenken: „Würde Digitalisierung im Unternehmen als Insel betrachtet werden, wäre das ein grundsätzliches Missverständnis. Durch die Position Chief Digital Officer ist jemand dafür zuständig, zu untersuchen, wo das Unternehmen und die Industrie Felder vorfinden, in welchen durch Digitalisierung Wert kreiert und Gewinne erzielt werden können.“
Gewiss ist die Digitalisierung kein kurzfristiges Phänomen. Sie wird unser Leben nachhaltig prägen. Doch wie sieht das Wirtschaftsleben in zehn Jahren aus? „2030 werden Entscheidungen von ManagerInnen regelmäßig durch neue Technologien unterstützt und in Teilen möglicherweise ersetzt werden“, meint Jonas Puck. Digitalisierung wird seiner Meinung nach enger mit anderen Phänomenen verwoben werden: Mit der Unterstützung der Nachhaltigkeit, im Kampf gegen die Klimakrise oder mit dem demografischen Wandel. Puck: „Es wird aber weiterhin der Mensch sein, der die Zielsetzung und Richtung dieser Entwicklung vorgeben muss – dies ist wahrscheinlich die größte Herausforderung, die auf uns zukommt.“
Learn@WU – Das eLearning-System an der WU
Da die WU schon früh erkannt hat, wie wichtig Digitalisierung ist, verfügt sie heute mit LEARN über eines der umfangreichsten und innovativsten eLearning-Systeme der Welt mit mehr als 200.000 digitalen interaktiven Lehrressourcen und ständig verbesserten Nutzungsmöglichkeiten. „Praktisch alle Studierenden der WU verwenden LEARN, 18.000 melden sich pro Tag an. Sie machen damit ihre Hausübungen, üben für Prüfungen, streamen Vorträge oder diskutieren in Foren mit KollegInnen und Lehrenden“, erklärt Gustaf Neumann, WU-Professor für Wirtschaftsinformatik und Neue Medien. „Sie nutzen das System am Campus, zu Hause oder unterwegs auf ihrem Smartphone, Tablet oder ihrem PC. LEARN ist auch eine Plattform für Lehrende, die oft für zahlreiche Parallelveranstaltungen Materialien bereitstellen, Großprüfungen zusammenstellen und korrigieren und die Kommunikation mit Studierenden bis zum Plagiatstest über LEARN abwickeln.“ Neben der WU nutzen auch Unternehmen oder zum Beispiel Schulen die Plattform. Schnittstellen zu DrittanbieterInnen-Apps sind denkbar, sofern sie die Funktionalität von LEARN sinnvoll ergänzen.