„Meist ist es das Unternehmen, das von der Begehung von Straftaten profitiert“
In seiner Forschungsarbeit widmet sich Robert Kert, Researcher of the month 05/18 und Professor am WU-Institut für Österreichisches und Europäisches Wirtschaftsstrafrecht, der Frage, inwieweit Unternehmen bei Verstößen gegen das Unternehmensstrafrecht tatsächlich bestraft werden können. Wir haben den Forscher gefragt, wer profitiert und welche Unternehmen unbedingt bestraft werden sollten.
Name: Robert Kert
Jahrgang: 1971
Geburtsort (aufgewachsen in): geboren in Wien, Kindheit und Jugend in Feldkirch (Vorarlberg) verbracht
Als Kind wollte ich werden: Lokomotivführer
Darum bin ich Wissenschaftlerin geworden: Es hat mir immer Spaß gemacht, Forschungsfragen nachzugehen und sie zu lösen. Schon als Schüler habe ich an Forschungswettbewerben teilgenommen. Außerdem habe ich immer sehr gerne Texte geschrieben. Beides sind zentrale Bestandteile meiner Tätigkeit als Wissenschaftler. Letztlich war es aber auch Zufall und Glück, dass mein Doktorvater auf mich aufmerksam wurde und mich gefragt hat, ob ich bei ihm als Assistent zu arbeiten beginnen möchte. Und dann hat es mich nicht mehr los gelassen…
Das fasziniert mich an meinem Fachbereich: Es fasziniert mich die Frage, wie eine Gesellschaft auf Rechtsverstöße reagieren sollte, um solche in der Zukunft zu verhindern. Ich bin sicher, dass Einsperren (in vielen Fällen) nicht die beste Möglichkeit ist. Aber was kann man sonst machen?
Mein persönliches berufliches Wunschziel: Ich möchte vielen jungen Menschen ein Verständnis für das Strafrecht vermitteln, das es ihnen ermöglicht, zu sinnvollen Lösungen strafrechtlicher Fragestellungen zu gelangen. Außerdem sollen sie ein Gefühl dafür bekommen, dass sowohl Täter als auch Opfer von Straftaten Menschen mit ihren Geschichten und sozialen Hintergründen sind.
WU Blog: Im Zuge Ihrer Forschungsarbeit sprechen Sie von kritischen Stimmen, die gegen eine Anwendung der strafrechtlichen Grundsätze auf Unternehmen plädieren. Wie sehen diese Argumente aus und was können Sie darauf entgegnen?
Robert Kert: Das Hauptargument gegen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen war und ist stets, dass eine Strafe eine Schuld des Täters voraussetzt. Nur Menschen könnten handeln und nur Menschen ließen sich durch rechtliche Anreize in ihrem Verhalten lenken. Strafrechtliche Schuld sei höchstpersönlicher Natur. Daher könnte eine juristische Person nicht schuldhaft handeln und daher auch nicht bestraft werden. Außerdem wurde gegen ein Unternehmensstrafrecht vorgebracht, dass Strafen gegen Unternehmen „unschuldige“ Aktionäre oder Mitarbeiter treffen würden und sie deswegen die „Falschen“ treffen würden.
Dem kann entgegnet werden: Auch einem Unternehmen kann ein sozialethischer Vorwurf gemacht werden, dass es mangelhaft organisiert ist, bestimmte Pflichten nicht einhält oder illegale Geschäfte betreibt. Unternehmensstrukturen können kriminelles Verhalten ihrer EntscheidungsträgerInnen und MitarbeiterInnen fördern, indem zum Beispiel bewusst schwarze Kassen geführt werden, um Steuern zu hinterziehen. Das ist dem Unternehmen auch vorzuwerfen. Mittlerweile hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass das Verbandsverantwortlichkeitsgesetz verfassungskonform ist, weil der Schuldgrundsatz nicht darauf anzuwenden sei.
„Auch einem Unternehmen kann ein sozialethischer Vorwurf gemacht werden, dass es mangelhaft organisiert ist, bestimmte Pflichten nicht einhält oder illegale Geschäfte betreibt.“
Das zweite Argument trifft letztlich auf alle Strafen zu, denn auch die Familie ist betroffen, wenn der Vater bestraft wird. AktionärInnen und auch MitarbeiterInnen haben es – zumindest bis zu einem gewissen Grad – in der Hand, Straftaten aus dem Unternehmen heraus zu verhindern. Meist ist es das Unternehmen, das von der Begehung von Straftaten profitiert, daher ist es auch „gerecht“, dass es die Konsequenzen daraus zieht.
WU Blog: Gibt es rechtskräftig verurteilte Fälle in Österreich, in denen Unternehmen strafrechtlich belangt wurde?
Kert: Zunächst war die Anwendung des Unternehmensstrafrechts durch die Strafverfolgungsbehörden etwas zögerlich. Mittlerweile gibt es bereits zahlreiche Verurteilungen von Unternehmen, vor allem wegen Steuerstraftaten und anderen Wirtschaftsdelikten.
Eine der ersten Verurteilungen betraf tatsächlich eine Umweltstraftat: Ein Geschäftsführer einer GmbH, die mit Pflanzenschutzmitteln handelte, ordnete seinen Mitarbeitern an, mit einem Hochdruckreiniger eine Plane, die mit Pflanzenschutzmitteln verunreinigt war, zu reinigen. Durch die Reinigungsarbeiten gelangte über den Abwasserkanal Pflanzenschutzmittel in einen Bach. Dies führte dazu, dass über einen Abschnitt von drei Kilometern sämtliche Fische verendeten. Neben dem Geschäftsführer wurde auch das Unternehmen wegen fahrlässiger Beeinträchtigung der Umwelt verurteilt, weil die Tat zu Gunsten des Unternehmens begangen wurde, indem es sich die Kosten für das wasserrechtliche Genehmigungsverfahren erspart hatte, und das Unternehmen nicht die erforderliche wasserrechtliche Anlagengenehmigung eingeholt hatte. Die GmbH wurde zu einer Verbandsgeldbuße von 3.880 EUR verurteilt.
WU Blog: Sie sprechen sich für eine Vereinfachung der Berechnung und eine deutliche Erhöhung der Geldbußen aus: Was wäre Ihrer Meinung nach angemessen?
Kert: Ich denke, dass man sich am Maximalbetrag für Geldbußen im EU-Wettbewerbsrecht orientieren und die Maximalhöhe bei 10% des Jahresumsatzes ansetzen könnte. Aber solche hohe Geldbußen sollten wirklich nur bei solchen Unternehmen eingesetzt werden, die „unbelehrbar“ und nicht bereit sind, einen rechtstreuen Weg zu beschreiten und kriminelle Machenschaften einzustellen. Solche Unternehmen sollten auch mit spürbaren Sanktionen belegt werden. Vorrangig plädiere ich aber dafür, Wege zu finden, dass Unternehmen dazu angehalten werden, wirkungsvolle personelle und organisatorische Maßnahmen zu setzen, mit denen das Unternehmen seine Bereitschaft zur nachhaltigen Verhaltensänderung zeigt. Dies sollte im Rahmen einer Diversion, also vor einer Verurteilung, oder als Strafe möglich sein.