Kryptoökonomie prägt das zukünftige Leben

In Zukunft wird die Interaktion zwischen Wirtschaft, Recht und Informatik im Berufsleben von entscheidender Bedeutung sein. Die WU hat darauf reagiert und als erste Universität weltweit ein eigenes Forschungsinstitut für Kryptoökonomie eingerichtet, in der Chancen und Herausforderungen ausgelotet werden. Dieser Artikel erschien zuerst im WU Magazin 01/2018 in Kooperation mit Die Presse.

In der slowenischen Hauptstadt Ljubljana arbeitet zurzeit ein Team von ProduktdesignerInnen, InformatikerInnen, Wirtschaftsfachleuten und JuristInnen intensiv an der Markteinführung einer Kapsel aus Kunststoff, genannt AirPod, deren Zweck es ist, als Ein-Personen-Rückzugsort auf Flughäfen, Bahnhöfen oder Busstationen zu dienen. Darin soll man arbeiten, spielen, entspannen und schlafen können. AirPod CEO Grega Mgole realisiert das Projekt mittels Blockchain-Technologie; die Miete einer Kapsel wird über einen digitalen Token erfolgen. Die Blockchain wird auch bei der App-Plattform eingesetzt, die eine wirtschaftliche Kontrolle jeder einzelnen AirPod-Einheit ermöglichen soll.

Willkommen in der Welt der Kryptoökonomie!

„Wir sprechen nicht über eine Technologie, wir sprechen von einem Bündel an Technologien, die da auf die Gesellschaft zukommen“, erklärt Jeffrey Owens, Professor am WU Global Tax Policy Center. „Ich meine damit Cloud Computing, DLT (Distributed Ledger Technology, Anm.), 3D-Druck, Virtual Reality, Robotics, Big Data.” Bitcoin, Ethereum und andere sogenannte Kryptowährungen sowie ihre zugrunde liegende Technologie der Blockchain und Smart Contracts hat in den letzten Jahren eine Welle von technologischen Innovationen ausgelöst. Mit Alfred Taudes, Professor am WU Institut für Produktionsmanagement, diskutierte Owens vor rund einem Jahr die Sinnhaftigkeit eines eigenen Forschungsinstituts zum Thema Kryptoökonomie an der WU. Gesagt, getan.

„Wir sprechen nicht über eine Technologie, wir sprechen von einem Bündel an Technologien, die da auf die Gesellschaft zukommen.“

Im Mai 2017 fand ein erstes Blockchain Summit an der WU statt, bei dem ca. 80 TeilnehmerInnen einen Neun-Punkte-Plan für die Blockchain in Österreich entwickelten. Einer der Punkte war die Einrichtung eines interdisziplinären Forschungsinstituts, was auch realisiert wurde. Zur Direktorin wurde die internationale Blockchain-Expertin Shermin Voshmgir bestellt. Taudes übernahm die Funktion des wissenschaftlichen Leiters. „Am 19. März haben wir unser erstes Forschungsseminar als Crypto-Monday veranstaltet“, erklärt er. „Im Rahmen dessen präsentierten
Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse, danach gab es einen Open Floor, zu dem auch Praktiker eingeladen waren. Unsere Studierenden haben bereits ein Students Chapter gegründet, um den Technologietransfer zu forcieren.“ Der Wissensaustausch funktioniert also. Taudes gibt auch unumwunden zu, dass Studierende zu ihm kommen, um ihm Blockchain-Anwendungen zu zeigen, die er davor noch nicht kannte.

„Oft kommen Studierende zu mir und zeigen mir Blockchain-Anwendungen, die ich vorher noch nicht kannte. Das ist irrsinnig spannend. “

Am Forschungsinstitut für Kryptoökonomie untersuchen zurzeit 23 WissenschaftlerInnen aus den juristischen Departments, der Volkswirtschaft, aus betriebswirtschaflichen Fächern und der Wirtschaftsinformatik interdisziplinär Blockchain-relevante Fragestellungen. In einer ersten Phase werden die unterschiedlichen Forschungsfragen eingeteilt und die interdisziplinären Schnittstellen definiert. So kommt es, dass bei Rechtsfragen JuristInnen mit SoftwareentwicklerInnen zusammenarbeiten oder bei Anreizmechanismen EntwicklerInnen mit SpieltheoretikerInnen kooperieren.

„Wir werden in Zukunft Technologie überall dort einbinden, wo wir aktiv sind, wie im Bereich Recht und Steuern“, meint Owens. „Die Frage wird sein, wie können wir zum Beispiel gemeinsame Masterprogramme auflegen, die auf einen politischen, juridischen und technologischen Lehrplan aufbauen. Denn eines ist schon absehbar: rund 40 Prozent der ExpertInnen, die sich in Unternehmen heute noch um Steuerfragen kümmern, werden in den nächsten Jahren durch Technologie ersetzt werden.“ Bei E & Y arbeiten zum Beispiel in Deutschland IT-ExpertInnen,
die auch betriebswirtschaftlich ausgebildet sind. Deren Aufgabe ist es, technisch komplexe Themen in eine Sprache zu übersetzen, die von Banken, Aufsichtsrats- und Vorstandsmitgliedern verstanden werden.

Technologische Anforderungen

Bei ArbeitnehmerInnen mittleren Alters grassiert bereits die Angst, dass sie den technologischen Anforderungen nicht mehr gewachsen sind und daher gekündigt werden könnten. „Kurzfristig werden sicher Arbeitsplätze verloren gehen. Mittel- und langfristig werden sie durch neue ersetzt werden. Jeder technologische Fortschritt hat in der Geschichte der Menschheit Arbeitsplätze abgeschafft“, erklärt Voshmgir, die zusätzlich zu ihrer leitenden Funktion am WU Forschungsinstitut für Kryptoökonomie den Thinktank BlockchainHubs in Berlin betreibt. Jan Mendling, WU Professor für Informationswirtschaft am Forschungsinstitut für Kryptoökonomie, ist überzeugt, dass sich Aufgaben ändern werden: „Diese Entwicklung bedeutet gleichermaßen, dass wir uns in
Zukunft vielleicht um eine ganze Menge lästiger Kleinarbeit weniger kümmern müssen. Und als hochentwickeltes Land sollten wir die Chancen sehen, die die Digitalisierung für uns bringt.“

Die Frage ist nur: Werden ältere MitarbeiterInnen bei dieser Entwicklung Schritt halten können? Mendling: „Ich bin davon überzeugt, dass Ältere bei dieser Entwicklung nicht nur Schritt halten können,sondern diese auch aktiv gestalten. Dazu gehört Neugierde und Tatendrang.“ Die Angst der Menschen ist trotzdem berechtigt. Es ist Aufgabe der PolitikerInnen diese Ängste nicht weiter zu schüren, sondern den Menschen zu zeigen, dass man neue Arbeitsplätze schaffen kann, indem der Strukturwandel mit wirtschaftspolitischen Maßnahmen ermöglicht wird.

Die größte Herausforderung der Politik und der Verwaltung ist es aber, den technologischen Wandel selbst zu verstehen. Voshmgir ist überzeugt, dass es zu wenige PolitikerInnen und öffentlich Bedienstete mit technischem Background, vor allem in Führungspositionen, gebe. Owens pflichtet ihr bei: „Für die Verwaltung zu arbeiten, sollte für ExpertInnen attraktiver werden. Klar, die Zeiten einer lebenslangen Karriere im Staat sind vorbei, aber drei bis vier Jahre in der öffentlichen Verwaltung, kann für ambitionierte ArbeitnehmerInnen erstrebenswert sein.“ Deshalb ist zu verstehen, dass das Forschungsinstitut für Kryptoökonomie auch eine PostgraduateAusbildung im BlockchainBereich plant, um PraktikerInnen zu schulen.

Blockchain wird  alltäglich

Wie jede neue Technologie, die noch in ihren Kinderschuhen steckt, sind sogenannte Early Adopters – tendenziell eine junge intellektuelle Avantgarde – jene Zielgruppe, die diese innovativen Methoden bereits als erste verwenden. Denn Blockchain ist eine Technologie, die dabei hilft, eine Vielzahl von Dingen kostengünstiger und dezentraler zu organisieren. „Wenn man mal nur BitCoin nimmt, hat man hier ein weltweites Bezahlsystem, mit dem man schnell, kostengünstig und nachvollziehbar Überweisungen tätigen kann“, erklärt Mendling. Das stellt tatsächlich
einen wirklichen Nutzen dar. In Zukunft wird es außerdem weniger Zentralstellen und Monopolbereiche geben, die ihre Position für hohe Transaktionsgebühren ausnutzen können. „Natürlich wird es noch dauern bis jedermann BlockchainTechnologien nutzen wird“, meint Vordenkerin Voshmgir.

„Kurzfristig werden sicher Arbeitsplätze verloren gehen. Mittel- und langfristig werden sie durch neue ersetzt werden.“

„Es gibt eine Vielzahl von technischen und regulatorischen Fragen, die geklärt werden müssen, bevor dies der Fall sein wird. Außerdem fehlt es an allen Ecken und Enden an den notwendigen Netzwerkeffekten bis diese Technologie ihr wahres Potenzial entfalten kann. Die Zukunft ist aber schon da, sie hat nur noch nicht alle Branchen und Benutzer erreicht.“ Blockchain wird oft überspitzt als die „3BTechnologie“ bezeichnet: Die drei B stehen für „Blockchain – Bitcoin – Bad“. Im Zusammenhang mit Bitcoins wird oft die mangelnde Umweltverträglichkeit, hervorgerufen durch den hohen Energieverbrauch des sog. Minings, angeprangert. Noch vor ein paar Jahren hat jeder auf einem PC oder Notebook Bitcoin schürfen können. Heute ist das nicht so. Man braucht jetzt sehr leistungsstarke Rechnerfarmen, um eine Chance zu haben, Bitcoin Transaktionen schnell genug zu verifizieren und damit Bitcoins zu generieren.

„Diese Entwicklung bedeutet gleichermaßen, dass wir uns in Zukunft vielleicht um eine ganze Menge lästiger Kleinarbeit weniger kümmern müssen.“

Mining ist somit ein Geschäftsfeld von Spezialisten. Island ist mit seinen neuen, riesigen Rechenzentren zu einem Hub geworden, weil die Energiekosten gering und die Luftkühlung der Server, aufgrund des dort ständig wehenden Windes, einfach zu bewerkstelligen ist. Trotzdem meint der isländische Politiker Smari McCarthy in einem Interview mit Associated Press: „Wir verbrauchen Hunderte Megawatt für die Produktion von etwas, das weder greifbar ist, noch einen wirklichen Nutzen für die Menschen hat, die sich außerhalb der Finanzspekulation bewegen.“ Voshmgir relativiert diese Aussage: „Bitcoin Mining ist rechnerintensiv und verbraucht viel Strom. Das stimmt. Viele Entwickler arbeiten gerade an Alternativen zum viel kritisierten und Rechnerintensiven Proof of Work. Proof of Stake und andere kryptoökonomische Anreizmechanismen werden viel ökologischer als klassisches Mining sein.“

Positive Aspekte überwiegen

Dass die Blockchain durchaus positive Seiten haben kann, beweisen Case Studies aus der Logistik. Tina Wakolbinger, WU Professorin im Bereich des Supply Chain Managements, berichtet über praxistaugliche Anwendungen im Umfeld der humanitären Logistik. „Die Blockchain-Technologie schafft die Möglichkeit, Hilfsorganisationen zu mobilisieren, Transparenz zwischen den Beteiligten zu schaffen sowie Angebot und Nachfrage mittels Smart-Contracts automatisch zusammenzubringen. Da in der humanitären Logistik, der Zeitdruck sehr hoch ist, sind Möglichkeiten, rasch Ad Hoc-Logistiknetzwerke zu schaffen und zu koordinieren, sehr wichtig.“ IBM und die Reederei Maersk führten 2017 ein Pilotprojekt durch, bei dem die gesamte Supply Chain mittels
Blockchain-Technologie digital (anstelle der üblichen Papieraufzeichnungen) dokumentiert wurde. 15 bis 20 Prozent der gesamten Verschiffungskosten könnten so eingespart werden. IBM schätzt, dass zehn Millionen der weltweit jährlich versandten 70 Millionen Container auf Blockchain-Technologie umgestellt werden könnten.

„Die Blockchain-Technologie schafft die Möglichkeit, Hilfsorganisationen zu mobilisieren, Transparenz zwischen den Beteiligten zu schaffen sowie Angebot und Nachfrage mittels Smart-Contracts automatisch zusammenzubringen.“

Auch im ureigenen Bereich des wissenschaftlichen Publizierens soll die Blockchain verstärkt Verwendung finden. Alfred Taudes erklärt: „Unser derzeitiges wissenschaftliches Publikationssystem weist eine Reihe von Defekten auf, zum Beispiel, dass große Verlage hohe Rendite mit Steuergeld machen, das Veröffentlichen von Daten nicht gefördert wird bzw. Gutachten nicht transparent sind.“ Hier kann die Blockchain Abhilfe schaffen. Im Mai werden internationale ForscherInnen an der WU das Thema im Rahmen der „UNCONFERENCE – SPONBC2018, Scientific Publishing on the Blockchain“ weiter voranbringen.


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Public Lecture im Rahmen der Langen Nacht der Forschung (13. April):
  • Datum: 13. April 2018
  • Uhrzeit: 17:00–18:00 Uhr
  • Ort: Library & Learning Center Festsaal 1
  • Datum: 05. Juni 2018
  • Uhrzeit: 18:00 Uhr
  • Ort: Library & Learning Center Festsaal 1