Interview mit Margit Fischer

Die Begriffe “Ungleichheit” und “Gerechtigkeit” gewinnen seit der jüngsten Finanzkrise zunehmend an Bedeutung in der politischen Diskussion. Wann ist für Sie ungleich auch gerecht(-fertigt)?

Der Gleichheitssatz unserer Rechtsordnung, wonach alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind, schließt Ungleichbehandlung nicht aus, wenn die Sachverhalte ungleich sind. Zwei Menschen in einer gleichen Familiensituation dürfen im Familienrecht nicht ungleich behandelt werden. Ein Familienvater mit drei Kindern darf aber anders behandelt werden als einer mit einem Kind.

Was bedeutet für Sie “Chancengerechtigkeit”? Welche Maßnahmen erachten Sie in Österreich für zentral um diese zu verbessern?

Chancengerechtigkeit heißt für mich, den einzelnen Menschen in Wettbewerbssituationen – sei es der Zugang zur Bildung oder der Zugang zu gesunden Lebensbedingungen etc. – gleichartige Ausgangspositionen einzuräumen.

Gemeinsam mit der Volkshilfe engagieren Sie sich sehr stark im Bereich der ‚Armutsbekämpfung‘. Die Forschung für Österreich zeigt, dass die Einkommenskonzentration in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Wie sehen Sie das Spannungsfeld zwischen Arm und Reich in Österreich? Wo ist der größte Handlungsbedarf?

In jeder offenen Gesellschaft gibt es Einkommens- und Vermögensunterschiede. Solange sie auf tatsächlichen Leistungs- oder Verantwortungsunterschieden beruhen und in vertretbaren Grenzen bleiben, ist dagegen nichts einzuwenden. Wenn die Unterschiede aber zu groß werden und damit auch die Lebenschancen der untersten Einkommensschichten nachteilig beeinflussen, ist dieser Polarisierung entgegen zu wirken, einerseits durch Maßnahmen im Bereich der Steuerpolitik und andererseits durch sozialpolitische Maßnahmen zugunsten der ökonomisch Schwächsten.

Die aktuelle Flüchtlingskrise zeigt uns deutlich, wie stark globale Ungleichgewichte wirken. Wo sehen Sie mittelfristig den stärksten Handlungsbedarf um die weltweiten Migrationsströme zu regulieren?

Die aktuellen Flüchtlingsströme sind nicht in erster Linie durch ökonomische Ungleichgewichte ausgelöst, sondern vor allem durch Krieg, Bürgerkrieg und Terror. Daher müssen primär diese Ursachen bekämpft und eliminiert werden, aber auch starke ökonomische Ungleichgewichte lösen Migrationsströme aus. Daher sind die Milleniumgoals der Vereinten Nationen und darüber hinaus alle Maßnahmen zu unterstützen, die darauf abzielen, die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der am wenigsten entwickelten Staaten anzukurbeln.

Mit dem Österreichischen Frauenrat versuchen Sie aktiv Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern zu beseitigen. Was sind für Sie die größten Hindernisse, die eine Umsetzung dieses Ideals verhindern? Wo sehen Sie Erfolge?

Die größten Hindernisse auf dem Weg zur vollen Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter liegen in der durch Jahrhunderte alte Traditionen verfestigten Rollenverteilung, welche die Frauen von Bildung und Berufstätigkeit fern gehalten haben (und zum Teil immer noch fernhält) und die Männer als prädestiniert für Führungsrollen in Familie, Staat und Gesellschaft betrachtet hat.
Die gesetzliche Gleichstellung ist in Europa weitgehend erreicht, die faktische Gleichstellung ist noch eine Aufgabe für weitere Jahre und Jahrzehnte.

Sie haben am 18. September 2015 das neue Forschungsinstitut “Economics of Inequality” der WU eröffnet. Was erwarten Sie sich von diesem neuen Forschungsbereich an der Wirtschaftsuniversität?

Ich erwarte mir von diesem neuen Forschungsinstitut, dass es die Bemühungen um Gleichberechtigung und Chancengleichheit in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft durch Zahlen, Fakten und wissenschaftliche Analysen unterstützt.

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