Pension mit 75? Notwendig oder sozial ungerecht?

Am 5. November 2025 stand das österreichische Pensionssystem im Mittelpunkt der Diskussionsreihe „WU matters. WU talks.“. Nach einem Impulsvortrag von Martin Halla (WU) diskutierten Hanno Lorenz (Agenda Austria) und Barbara Schuster (Momentum Institut) unter der Moderation von Karin Heitzmann (WU) aktuelle Herausforderungen und potenzielle Lösungsansätze.

Probleme sind bekannt, aber politisch ungelöst

WU-Professor Martin Halla erläuterte in seinem Vortrag die Grundzüge des österreichischen Pensionssystems: Bevor das öffentliche Pensionssystem eingeführt wurde, war die Familie die wichtigste Absicherung im Alter. Diese Funktion übernimmt heute der Staat: „Während des Erwerbslebens parken wir Einkommen, der Staat gibt es dann zurück“. Das Pensionssystem basiert auf dem sog. Generationenvertrag: Die jüngeren, erwerbstätigen Generationen zahlen Beiträge in die Pensionskasse ein, aus denen die Pensionen der älteren Generationen finanziert werden. Wenn die heute Erwerbstätigen selbst in Pension gehen, werden ihre Pensionen wiederum durch die Beiträge der nachfolgenden Generationen getragen. Laut Halla ist die Grundproblematik dabei:

„Wir leben immer länger, gehen nicht später in Pension und bekommen weniger Kinder“

Es tut sich also eine Finanzierungslücke auf. Schon heute fließt rund ein Viertel des österreichischen Bundesbudgets in das staatliche Pensionssystem, das sich eigentlich selbst finanzieren sollte. Doch das tut es nicht.

Finanzierungslücke schließen – aber wie?

In der Theorie gibt es verschiedene Möglichkeiten, das System zu entlasten: Über Migration funktioniert es laut Halla nicht. Er plädiert daher für eine Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters. Auch für Hanno Lorenz vom Thinktank Agenda Austria ist eine Erhöhung überfällig. Man könne bei den Beiträgen ansetzen – diese seien allerdings bereits sehr hoch – oder die Pensionen kürzen, was politisch unpopulär wäre. Auch Fertilität und Produktivität seien in Österreich keine Hebel, um das System nachhaltig zu finanzieren – es bleibe also nur die Anhebung des Antrittsalters. Das sei „das Sozialste“, so Lorenz, „weil es für jedes Individuum bedeutet, ein bisschen länger zu arbeiten, aber in der großen Summe extrem entlastet.“ Im ersten Schritt könne das Pensionsantrittsalter auf 67 Jahre angehoben und anschließend an die Lebenserwartung gekoppelt werden. So wird es derzeit bereits in Dänemark gehandhabt, wo das Antrittsalter langfristig auf 74 Jahre steigen soll. Das könne Planungssicherheit schaffen und Belastungen für jüngere Generationen reduzieren.

Unternehmen und Arbeitgeber*innen in die Pflicht nehmen

Dem widersprach Barbara Schuster vom Momentum Institut entschieden: Eine pauschale Anhebung benachteilige vor allem Geringverdiener*innen oder Menschen in körperlich und psychisch belastenden Berufen, welche ohnehin eine geringere Lebenserwartung hätten. Schon jetzt schafft es nur etwa jede*r Dritte, direkt von der Erwerbstätigkeit in die Alterspension zu wechseln. Durch die Koppelung des Antrittsalters an die durchschnittliche Lebenserwartung würden viele Menschen ihre Pension gar nicht mehr erleben. Schuster dazu:

„Ein höheres Antrittsalter würde bedeuten, dass die Menschen nicht von der Arbeit in die Pension, sondern auf den Friedhof wechseln.“

Das österreichische Pensionssystem, das auf unterbrechungsfreie Vollzeitarbeit ausgelegt ist, sei bereits jetzt ungerecht. Der Gender Pension Gap liegt aktuell bei 40%. „Frauen bekommen im Durchschnitt 1.000 Euro weniger Pension als Männer“, so Schuster. Um das System gerechter zu machen und die Finanzierung breiter aufzustellen, brauche es zielgenaue Arbeitsmarktmaßnahmen, stärkere betriebliche Verantwortung und gerechtere Erbschafts- und Vermögensbesteuerung. „Wir müssten Unternehmen und Arbeitgeber*innen stärker in die Pflicht nehmen, um das faktische Antrittsalter zu erhöhen.“ Hebel dafür wären beispielsweise Weiterbildungsmaßnahmen oder eine Jobgarantie gegen Arbeitslosigkeit bei älteren Menschen.

Lorenz betonte, bei den Arbeitsbedingungen anzusetzen sei sinnvoll – jedoch als Ergänzung zur Pensionsreform, nicht als Ersatz. Abschließend gab die Moderatorin, Professorin Karin Heitzmann, zu bedenken: „Das Pensionssystem hat nicht nur ein Finanzierungsziel, sondern auch andere sozialpolitische Zielsetzungen – beispielsweise Maßnahmen gegen Altersarmut.“

Die ganze Diskussion zum Nachschauen:

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