„Krisenpolitik ist männlich geprägt“
Am 19.11. ist „Internationaler Männertag“. Mitten in einem Lockdown hat die Frage der Gleichberechtigung von Frauen und Männern eine neue Dimension bekommen. Wer beteiligt sich wieviel an Hausarbeit, Kinderbetreuung inklusive Homeschooling und unbezahlter Arbeit? Und welchen Beitrag können Männer als positive Vorbilder leisten? Wir haben Katharina Mader und Hendrik Theine, beide forschen am Institut für Heterodoxe Ökonomie, aus aktuellem Anlass befragt.
WU Blog: Was können Männer zur Verbesserung der Geschlechtergerechtigkeit beitragen?
Katharina Mader: Ich denke ein erster Schritt könnte sein, die eigenen Privilegien wahrzunehmen und zu hinterfragen. Wahrzunehmen, dass wir noch in keiner gleichberechtigten Welt leben und sie als Männer oftmals diejenigen mit strukturellen Vorteilen sind.
Hendrik Theine: Stimmt, würde ich auch so sehen. Eine Freundin von mir nennt das „male depowerment statt female empowerment“. Ich finde das trifft es ziemlich gut auf den Punkt. Dazu gehört natürlich auch die eigenen Rollen, Weltbilder und Werte hinterfragen.
„Unbezahlte Hausarbeit und Kinderbetreuung sind in der Krise ganz stark bei den Frauen hängen geblieben“
Katharina Mader: Voll, dann müssten sie aber auch ins Tun kommen! Und aus meiner wissenschaftlichen Perspektive zuallererst mehr unbezahlte Arbeit übernehmen. Vor allem weil wir gerade jetzt auch in der Krise sehen, dass die unbezahlte Hausarbeit und Kinderbetreuung ganz stark bei den Frauen hängen geblieben ist.
Hendrik Theine: Ja, unbezahlte Arbeit ist aber nicht genug. In der Erwerbsarbeit könnte das bedeuten, weniger in konservativen Männernetzwerken abhängen und Arbeit und Karriere inklusiver zu gestalten.
Katharina Mader: Das heißt aber auch, dass sie ihre Ellenbogen ein bisschen weniger ausfahren und diese argen auf Konkurrenz basierenden Arbeitsstrukturen überdenken.
Hendrik Theine: … das ist denke ich langfristig auch zum Vorteil von Männern. Ich finde daran sieht man schön, dass Geschlechtergerechtigkeit kein „Frauenthema“ ist, sondern uns alle angeht.
WU Blog: Was glauben Sie, sollte der internationale Männertag bewirken?
Katharina Mader: Ursprünglich ist der Internationale Männertag als Männer-Gesundheitstag eingeführt worden. Dabei ging es ganz stark darum, dass Männer ihre psychische und physische Gesundheit in den Blick nehmen, denn die Rollenbilder, die wir schon erwähnt haben, erschweren es ihnen, sich damit aktiv zu beschäftigen.
Hendrik Theine: Daran anschließend könnte ein Männertag aus meiner Perspektive bewirken, dass männliche Vorbilder jenseits des starken und unabhängigen Machertypen hervorgehoben werden und in den Vordergrund gestellt werden. Männer sind ja auch in Beziehungen eingebettet und von ihnen geprägt und können emotional und einfühlsam sein. Aber um diese Seiten zu leben braucht es denke ich Übung, Erziehung und Vorbilder. Ein anderes Männerbild könnte sicher helfen.
„Geschlechtergerechtigkeit ist kein ‚Frauenthema‘, sondern auch langfristig zum Vorteil von Männern“
Katharina Mader: Ja und was meinst du, könnten und sollten Männer am Männertag dann tatsächlich machen?
Hendrik Theine: Tja, gute Frage. Spontan würde mir einfallen, dass Männer sich an diesen Tag mal Zeit nehmen und die wunderbare Literatur im Bereich Feminismus und feministische Ökonomie lesen. Wer keine Lust hat auf lange Texte hat: meine Freundin hat mir unlängst den wunderbaren Graphic Novel Der Ursprung der Liebe von Liv Strömquist empfohlen. Wirklich lesenswert, ich habe viel gelernt. Statt Graphic Novel geht natürlich immer auch eine Kolumne von Margarete Stokowski.
Katharina Mader: Oder von Elfriede Hammerl. Dann kann man auch sehen, wie unterschiedliche Generationen von Feministinnen die Welt verstehen. Oder sie lesen einfach uns hier 🙂
WU Blog: Wir sind mitten in der Corona-Pandemie. Welche Maßnahmen kann die Politik setzen, um die Geschlechtergerechtigkeit sicherzustellen?
Hendrik Theine: Es gibt viele Anzeichen, dass die Corona-Pandemie auch zu vermehrter Gewalt im Haushalt führt. Dagegen braucht es ausreichend Maßnahmen, um häusliche Gewalt vorzubeugen und effektive Hilfe zu leisten. Bisher hatte ich nicht den Eindruck, dass in diesem Bereich besonders viel getan wird.
Katharina Mader: Ich fürchte, es hat sich insgesamt in ganz wenigen Bereichen wirklich substantiell was im Hinblick auf Geschlechtergerechtigkeit getan. Die Pandemie hat da wie mit einer Lupe viele Baustellen sichtbar gemacht. Auch dass Gleichstellung am Arbeitsmarkt nicht mit einer Gleichverteilung von unbezahlter Arbeit einhergegangen war und es die Mütter waren – die sich durchaus auch überraschend für sie selbst – bei de facto geschlossenen Schulen und Kindergärten, nicht-verfügbaren Großeltern usw., in der Position der zum Großteil dafür Zuständigen wiedergefunden haben.
Hendrik Theine: Und was schon auch immer wieder auffällt: Krisenpolitik ist männlich geprägt – wie an den handelnden und entscheidenden Personen in der Politik und in den Krisenstäben klar ersichtlich ist. Das ist schon auch ein riesiges Problem.
Katharina Mader: Absolut und es ist halt leider auch noch immer ein Thema, dass entscheidende Personen dann eine Vielfalt von Lebensrealitäten in ihre Entscheidungen einbeziehen können, wenn unter ihnen selbst eine gewisse Vielfalt herrscht. Insofern ist für mich nicht verwunderlich, dass sich die Politik noch nicht drauf geeinigt hat Schulen und Kindergärten als letztes zu schließen oder Anreize für Unternehmen erarbeitet haben, damit diese explizit Männer dazu anhalten, Sonderbetreuungszeiten oder Pflegefreistellungen zu nehmen.
Katharina Mader ist Assistenzprofessorin am Institut für Heterodoxe Ökonomie. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Feministische und Politische Ökonomie, Care-Ökonomie und unbezahlte Arbeit. Sie arbeitet zur Zeit an zwei Forschungsprojekten, „Mehrfachbelastung unter COVID-19: Home-Office und Hausarbeit“ und „Bringt die Digitalisierung Geschlechtergerechtigkeit? Entwicklungen von Frauenlöhnen und dem Gender Pay Gap in Österreich“
Hendrik Theine ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (post-doc) am Institut für Heterodoxe Ökonomie. Seine Forschungsgebiete sind die politische Ökonomie der Medien, insbesondere mit Blick auf Eigentumsverhältnisse und Konzentrationstendenzen durch Strukturwandel, sowie ökonomische Ungleichheit und (wirtschaftspolitische) Machtverhältnisse. Derzeit arbeitet er unter anderem im Forschungsprojekt „Platform Cleaners – Potentiale und Risiken plattformvermittelter Reinigungsarbeit in Deutschland“.