„Überqualifizierung“ Autismus
In der laufenden Diversitäts-Debatte tauchen Begriffe wie „Autismus“ oft als Buzzwords auf. Doch welchen Problemen begegnen Menschen auf dem Spektrum tatsächlich auf der Arbeitssuche? Eine WU Mitarbeiterin erzählt.
Ein 13-jähriges Kind erhält ein Lob auf ihre Deutschschularbeit. Sofort versucht sie – unaufgefordert – vor versammelter Klasse in großem Detail ihren Gedankengang bei der Verfassung zu erklären. Ihre Klassenkollegen stöhnen verärgert. Ihre Lehrerin nennt sie ‚bösartig‘ und schickt sie auf ihren Platz zurück. Das Mädchen begreift nicht was geschehen ist, und sperrt sich während der nächsten Pause weinend auf der Toilette ein.
Missverständnis
Dies ist nicht etwa eine Szene auf einem Fernsehdrama, sondern eine reale Erfahrung aus meiner Kindheit. Ich habe das Asperger-Syndrom. Hierbei handelt es sich um eine spezielle Ausprägung der sogenannten „Autismus Spektrum Störungen“. Die typischen Merkmale sind die fehlende Entwicklung eines altersangemessenen Sozialverhaltens, bei gleichzeitig normalem- bis überdurchschnittlich entwickeltem Sprachvermögen. Kinder mit Asperger-Syndrom spielen nicht die gleichen Spiele und reden nicht über die gleichen Dinge wie ihre Altersgenossen. Wenn sie gut gelaunt sind reden sie wie Wasserfälle, sobald sie überfordert sind schreien sie oder kauern in einem Ball auf dem Boden. Sie verstehen nicht warum andere sie nicht verstehen, denn wo andere Menschen instinktiv über das Verständnis verfügen, dass die Bewusstseinsinhalte und Erwartungen jeder Person verschieden sind, fehlt dieser „Instinkt“ bei Menschen auf dem Autismus Spektrum.
Verkaufstalent?
Erst mit 16 Jahren erhielt ich endlich eine Diagnose. Bald danach machte ich mir erstmals auf die Suche nach Arbeit. Meine Bewerbungsschreiben waren allerdings voll kontraproduktiver Informationen, welche ich mich gedrungen fühlte mitzuteilen. Ich konnte mich einfach nicht verkaufen. Nach neun Jahren voll nutzloser AMS Kurse, drei fehlgeschlagenen Bewerbungsgesprächen und einem Sturm von Absagen, die Begriffe wie „Unterqualifizierung“ oder sogar „Überqualifizierung“ enthielten, fand ich letztendlich Hilfe beim Verein „Specialisterne Austria“. Dieser beschäftigt sich mit der Schaffung und Vermittlung von Arbeitsplätzen für Personen auf dem Autismus Spektrums. Finanziert wird er vom AMS, allerdings wurde ich dort, trotz Bekanntgabe meiner Diagnose, nie auf seine Existenz hingewiesen.
„Erwachsen-machen“
Nach weniger als einem Jahr gelang ich über Specialisterne schließlich als wissenschaftliche Mitarbeiterin unter die Fittiche der WU Wien. Zunächst war ich mir meiner Qualifikation für diesen Beruf trotz vorhandener höherer Bildung unsicher, aber wie sich herausstellte ist meine autistische Wahrnehmung, welche es liebt Informationen zu sammeln und systematisch zu sortieren, für diesen Beruf außerordentlich geeignet. Die WU hat sich auf diese Weise als mein Traumarbeitsplatz erwiesen. Die Aufgabenstellungen sind klar und nachvollziehbar, wenn mir etwas unklar ist reicht einfach Nachfrage bei meinen Kollegen. Meine Mitarbeiter stören sich nicht an meiner Logorrhö und behandeln mich nicht wie ein Kind oder eine Kranke, sondern einfach wie eine Kollegin. Ich werde hier aufgrund meiner Eigenheiten und Ticks nicht anders behandelt als andere. Für Menschen mit Autismus ist es so ein Umfeld, dass sie brauchen, um produktive Höchstleistungen zu erlangen. Denn wird man wie ein Erwachsener behandelt, so fällt es auch leichter sich in einen erwachsenen Arbeitsalltag einzufügen, Autismus hin oder her.
Barrierefreie WU
In Österreich leben ca. 18% der Bevölkerung mit einer dauerhaften, d.h. seit mindestens sechs Monaten bestehenden, Beeinträchtigung. An der WU geben ca. 8% der Studierenden eine gesundheitliche Beeinträchtigung an, die sich auf ihr Studium auswirkt. Menschen mit Behinderung begegnen täglich Vorurteilen und Hindernissen, die eine Teilhabe am Studien- und Arbeitsleben erschweren oder gar verhindern. Die WU setzt sich dafür ein, diese Barrieren abzubauen und stellt auch für MitarbeiterInnen Ressourcen zur Verfügung.