Gilt der Generationenvertrag noch?
Die hohe Lebensqualität in Österreich ist nur durch kooperatives Handeln zu halten. Themen wie Vermeidung von Jugendarbeitslosigkeit, Gültigkeit des Generationenvertrags oder Pflege im Alter müssen von der Gesellschaft mit Engagement behandelt werden, sind ExpertInnen überzeugt. Dieser Artikel erschien zuerst im WU Magazin.
Österreich weist im Juni 2017 in der Jugendarbeitslosigkeit (15- bis 24-Jährige) einen Wert von 8,4 Prozent auf, weit unter dem Schnitt der EU-28. Ein Grund für die deutlich geringere Anzahl an Arbeitslosen in dieser Altersklasse ist die Tatsache, dass die duale Ausbildung in Österreich den Übergang von der Schule in die Arbeitswelt erleichtert. Das duale Bildungssystem, also Lehre in Betrieben kombiniert mit theoretischer Ausbildung an Berufsschulen, ist anerkannt und wird von heimischen PolitikerInnen gern im Ausland als Erfolgsbeispiel präsentiert. Doch funktioniert das duale Bildungssystem noch immer vorbildhaft? „Es gibt viele Länder, die uns dieses System nachmachen“, ist Johannes Kopf, Vorstand des AMS, überzeugt. In Österreich gibt es mittlerweile eine Ausbildungsgarantie bis 25, die über das AMS organisiert wird. Kopf: „Weil wir schon seit Jahren ein besonderes Augenmerk darauf legen, sind wir in so einer guten Position. In diesem Bereich sind wir Vorbild für ganz Europa.“
In Österreich gibt es mittlerweile eine Ausbildungsgarantie bis 25.
Seit etwas mehr als zehn Jahren erhebt die OECD auch die NEET (Not in Education, Employment or Training)-Rate im Zeitraum zwischen 15 und 29 Jahren. Mit NEET werden jene erfasst, die keinen Job suchen, die nur schwer am Arbeitsmarkt integrierbar sind. Seit der Finanzkrise 2008 ist deren Anzahl überall gestiegen. Innerhalb der EU-28 liegt der NEET-Wert zwischen 10 und 33,5 Prozent, das heißt, dass bis zu einem Drittel der Jugendlichen ohne fremde Hilfe keinen Job finden wird und bereits in jungen Jahren auf staatliche Hilfe angewiesen ist. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass es mit einem höheren Alter noch viel schwieriger wird, in den Arbeitsmarkt einzusteigen. In Österreich liegt der NEET-Wert derzeit bei rund zehn Prozent.
Thomas Grandner, Professor am WU Institut für Arbeitsmarkttheorie und -politik, plädiert dafür, dass die Werte für Jugendarbeitslosigkeit und NEET gemeinsam betrachtet werden. Denn je mehr Maßzahlen man zur Verfügung habe, desto besser. Grandner: „Die Arbeitslosenrate für Jugendliche ist und war immer höher als jene für Erwachsene. Das ist normal, denn in diesem Zeitraum finden Ausbildung und Jobwechsel statt.“
Trend zu längerer Schulausbildung
In den Städten übernehmen die AHS immer mehr die Rolle einer Gesamtschule, das bedeutet auch, dass die Hauptschulen oder Neuen Mittelschulen, wie sie jetzt heißen, nicht mehr so stark besetzt sind wie früher. „Ich stamme aus der Steiermark, da war es früher normal, in die Hauptschule zu gehen und danach zum Beispiel in das Oberstufenrealgymnasium, in die HTL oder HAK“, meint Grandner. „Früher reichte ein HAK- oder HTL-Abschluss, um einen guten Job zu bekommen, heute sind diese Positionen mit AkademikerInnen besetzt. Das ist ein Trend, der sich noch verstärken wird.“ Gleichzeitig sind die Aufstiegschancen von Berufsschul-AbsolventInnen geringer geworden. Erfüllen die Berufsschulen daher ihren Zweck oder sind sie nur noch soziale Brennpunkte in den großen Städten? Grandner: „Ich würde die Berufsschule nicht als sozialen Brennpunkt sehen. Fielen diese Ausbildungsstellen weg, dann würden die Personen keinen Arbeitsplatz bekommen. Wenn man diese gekoppelte theoretische und praktische Ausbildung wegnimmt, dann wäre das ganz, ganz schlecht.“ AMS-Vorstand Kopf pflichtet ihm bei: „In Wien stimmt das mit dem sozialen Brennpunkt zum Teil. Hier gibt es auch die meisten Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die andere Lebenskonzepte haben, eine andere Sprache sprechen oder aus bildungsfernen Schichten kommen. Das ist eine große Herausforderung für die PädagogInnen.“ Grandner sieht es pragmatisch: „Solange die SchülerInnen einen Arbeitsplatz bekommen und halten können, erfüllt die Berufsschule ihren Zweck.“
„Früher reichte ein HAK- oder HTL-Abschluss, um einen guten Job zu bekommen, heute sind diese Positionen mit AkademikerInnen besetzt.“
Bildungslaufbahnen sind in Österreich nach wie vor stark durch die soziale Herkunft und den Bildungsabschluss der Eltern vorherbestimmt. Drei Viertel der Jugendlichen in Berufsschulen haben Eltern, die höchstens einen mittleren Bildungsabschluss (z.B. Lehre, berufsbildende mittlere Schule) erreicht haben. „Aufgrund von herkunftsbedingten und stadtteilbezogenen Benachteiligungen werden einzelne Schulen oft als sogenannte Brennpunktschulen stigmatisiert“, erläutert Erna Nairz-Wirth, Professorin und Leiterin der Abteilung für Bildungswissenschaft der WU. „Dabei handelt es sich um Schulen, die sich in schwierigen sozialen Kontexten befinden. Dennoch zeigen Ergebnisse der Schulentwicklungsforschung, dass es einzelnen Schulen gelingt, SchülerInnen zu einem guten Schulabschluss zu führen, vor allem durch ein professionelles Leadership-Team, Steigerung der Unterrichtsqualität, Aufbau interner und externer Kooperationsbeziehungen, die das Sozialkapital und somit die Bildungs- und Berufsorientierung der SchülerInnen stärken.“
Wunschtraum sichere Pensionen
Wie sieht es am Ende des Erwerbslebens aus, sind die monatlichen Pensionszahlungen in Zukunft noch gewährleistet? Der Generationenvertrag beruht auf einem Umlageverfahren, bei dem die beruflich aktive Generation ihre Pensionsbeiträge nicht auf ein Konto einzahlt, sondern als Pensionen an die nicht aktive Generation ausbezahlt. Sprich: Alle ErwerbsträgerInnen finanzieren die aktuellen Pensionen, im Vertrauen darauf, dass es die NachfolgerInnen gleichtun. Das Beitragsvolumen hängt an der Zahl der erwerbstätigen Beitragszahler, an deren sozialversicherungspflichtigen Verdiensten und am Beitragssatz. Stellschrauben sind neben der natürlichen Bevölkerungsentwicklung auch die Erwerbsquote (wie viele erwerbsfähige Menschen arbeiten bzw. arbeiten Vollzeit), an deren Entlohnung und daran, auf welche Einkommen und bis zu welcher Grenze Beiträge eingehoben werden.
Doch das Vertrauen an der Wirksamkeit des Generationenvertrags bröckelt langsam. Das Problem liegt unter anderem im Bevölkerungswachstum: wenn die Beiträge der aktiven Bevölkerung nicht ausreichen, um die Pensionen der im Ruhestand befindlichen Bevölkerung zu finanzieren, dann ist das ein fundamentales Dilemma. „Die Bevölkerung ist überaltert, das Bevölkerungswachstum ist zu schwach, um den Altersüberhang aufzuheben“, erklärt Rupert Sausgruber, Professor und Vorstand des WU Instituts für Finanzwissenschaft und öffentliche Wirtschaft. „Dadurch entsteht eine Finanzierungslücke von rund zehn Milliarden Euro jährlich.“
„Die Bevölkerung ist überaltert, das Bevölkerungswachstum ist zu schwach, um den Altersüberhang aufzuheben“
Wie geht man damit um? Manche ÖkonomInnen schlagen bezüglich der Finanzierung des Umlageverfahrens eine stärkere Koppelung der Pensionen an die durchschnittliche Lebenserwartung vor. Wenn die Lebenserwartung steigt, wird weniger ausbezahlt. Dadurch entsteht eine Gleichwertigkeit von Beitragszahlungen und Ansprüchen. Länger arbeiten ist auch eine Möglichkeit, die Pensionslücke zu schließen. Der Anteil der älteren Berufstätigen schiebt sich dadurch nach oben, vorausgesetzt, es gibt eine ausreichende Nachfrage nach Arbeitsplätzen. Nach wie vor ist die Arbeitslosenquote der älteren ArbeitnehmerInnen überdurchschnittlich. Gelingt die Verlängerung der faktischen Lebensarbeitszeit, reduzieren sich Pensionskosten und erhöhen sich die Beitragseinnahmen. Sausgruber rechnet vor: „Schon ein paar Monate länger arbeiten, würde ein großer Erfolg sein, der sich sofort in den Kosten niederschlägt.“
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