15-M und die Columbos der Soziologie
Es gibt eine gute und eine schlechte Seite der empirischen Feldforschung. Die gute ist, man fühlt sich wie ein Inspektor Columbo der Sozialwissenschaften, ist mittendrin statt nur dabei. Die schlechte ist, dass die (zeit-)intensive Arbeit nur selten honoriert wird. Meine Kollegin Marion Totter und ich haben mit dem Generationengerechtigkeitspreis jedoch eine Ausschreibung gefunden, die zu unserem Forschungsschwerpunkt über die spanische Zivilgesellschaft besser nicht passen konnte: Die Ausschreibung trug den Titel: „Jugendbewegungen für Generationengerechtigkeit“. Die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen (SRzG) möchte damit junge Menschen und ihren Protest gegen eine Welt, die nicht nach ihren Vorstellungen läuft, ins Blickfeld rücken.
Der schriftlichen Umsetzung unserer Arbeit stand folglich nichts im Wege: Als Forscherinnenteam (unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Ruth Simsa) sammelten wir Datenmaterial, das von Gesprächen über Zeitungsartikeln bis hin zu Beobachtungsprotokollen und Forschungsmemos reichte. Die Feldforschung fand in Madrid statt; an jenem Schauplatz, wo im Mai 2011 tausende von „empörte“ Menschen (auf Spanisch: „los indignados“) an der Puerta del Sol campierten. Dieses Ereignis ist bekannt als „movimiento 15-M“. Die Bewegung der Indignados ist sehr bunt: Ihr Farbenreichtum besteht aus neuen AkteurInnen, Aktionsformen und Forderungen an Wirtschaft und Politik, denn seit der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise spürt man Kürzungen der Sozialleistungen, deren Auswirkungen ins Privatleben reichen. Dies, die andauernde Monopolstellung zweier Großparteien im spanischen Parlament, und generell die Folgewirkungen des kapitalistischen Systems sind Anlass genug für die spanische Zivilgesellschaft auf die Straße zu gehen.
Auch drei Jahre danach – so die empirischen Ergebnisse dieser Arbeit – wirkt der Resonanzkörper 15-M in asambleas (Versammlungen) und casas okupas (besetzte Häuser/soziale Zentren) weiter. Die kollektive Entscheidungsfindung auf Mikroebene ist ein Experimentierfeld dafür, wie man sich Entscheidungsfindungen auf Makroebene vorstellt. Bislang weniger aktive Personengruppen, wie z.B. PensionistInnen, sind in den Sog der Aufbruchsstimmung und Veränderung geraten. Die Gemeinsamkeiten der Generationen scheinen in der prekären Arbeits- und Lebensbedingung (Gefährdung durch Armut und Exklusion) zu liegen.
Aus den zivilgesellschaftlichen Aktivitäten und der Empörung der Bevölkerung heraus hat sich schließlich Anfang 2014 eine neue Partei gegründet, namens Podemos („wir können“). Jüngste Umfragedaten sprechen dieser Linkspartei große Erfolge zu; hier ist Ignoranz fehl am Platz, wenn man seinen Blick nach Griechenland und deren neuen Regierung richtet. Podemos und Syriza hegen eine freundschaftliche Beziehung, viele Veranstaltungen werden gemeinsam ausgerichtet. Die Solidarität und die unermüdliche Aktivität der Länder Südeuropas haben offensichtlich bereits Früchte getragen.
Wir freuen uns, die spanische Zivilgesellschaft auch weiterhin genauer unter die Lupe nehmen zu können und auch hier zu Lande unsere detektivische Arbeit in die Öffentlichkeit zu tragen.
Diese Auszeichnung dotiert mit €500,- ist zwar ein kleiner Schritt für unsere Geldbörse, jedoch ein großer für die unzähligen, eifrigen Columbos der Soziologie.
#Generationengerechtigkeit #Forschung #Columbo