Mäuse, Enten und andere Kreaturen

Als ich unlängst gebeten wurde, einen Beitrag über „meine Forschung“ zu verfassen, der eine gewisse Breitenwirkung haben sollte, war ich nach anfänglicher Skepsis schnell dazu bereit – zum einen, weil ich selber sehr breit bin (ohne es empirisch belegen zu können, denke ich, dass ich der gewichtigste Mitarbeiter der WU bin), zum anderen, weil schnell klar wurde, dass ich mich in diesem Forum nicht dem meist doch trockenen akademischen Diskurs unterwerfen muss. Unter diesem Aspekt ist mein folgender Beitrag zu verstehen.

Vor mehr als 20 Jahren sah ich mich der Aufgabe gegenüber, ein Dissertationsthema zu finden, das an der Schnittstelle von Betriebswirtschaft einerseits und englischer Wirtschaftskommunikation andererseits angesiedelt war. Es dauerte nicht lange, und ich beschloss, meine kindliche Ader („I am never growing up!“ (c) Peter Pan) in einen wissenschaftlichen Rahmen einfließen zu lassen, und so entstand meine Arbeit mit dem Titel „Corporate Communication and Corporate Language as Reflections and Determinants of Corporate Culture and Corporate Image“ (merke: längere Titel wirken wichtiger); der spannende Teil ergab sich jedoch aus dem Zusatz „Illustrated by the Example of Walt Disney World“. Böse Zungen behaupteten, dass ich das Thema nur wählte, um eine Ausrede für oftmalige Forschungsaufenthalte in Florida zu haben – das Gegenteil war der Fall: oftmalige Aufenthalte in Florida hatten mich erst auf das Thema gebracht. Untenstehende Zitate stammen übrigens aus meiner Dissertation („Beer 1996“).

Apropos Forschung: worum ging es dann eigentlich in meinem (natürlich bahnbrechenden) Werk? Wie der Titel schon nahelegt, basierte die Arbeit auf Untersuchungen im Bereich der Corporate Communication; mich interessierte die Frage, wie Unternehmen Kommunikation – und in diesem Kontext besonders Sprache – gezielt einsetzen, um die gewünschte Reaktion bei ihren Stakeholders zu erzeugen.
Um aus Through The Looking Glass von Lewis Carroll zu zitieren (interessanterweise gerade in der Verfilmung mit Johnny Depp et al im Kino):

„‚When I use a word,‘ Humpty Dumpty said, in a rather scornful tone, ‚it means just what I choose it to mean – neither more nor less.‘ ‚The question is,‘ said Alice ‚whether vou can make words mean so many different thíngs.‘ ‚The question is,‘ said Humpty Dumpty,’which is to be master – that’s all.'“ (zitiert in: Beer 1996: 9)

Das obige Zitat bietet auch gleich eine perfekte Überleitung zu meiner Fallstudie, nämlich Corporate Communication und Corporate Language in einer eigenen Welt, nämlich Walt Disney World in Florida. Um kurz zu illustrieren, dass „eigene Welt“ nur leicht übertrieben ist, sollte erwähnt werden, dass sich das Gebiet auf eine Fläche von weit mehr als 100km2 erstreckt, von über 50 Millionen Menschen im Jahr besucht wird, und zu Spitzenzeiten ca. 70.000 Personen beschäftigt. Um hier ein durchgängiges und einheitliches Image zu erzeugen und zu wahren, bedarf es genauer Vorschriften, darunter auch Sprachregelungen.

Das Sprachgefüge basiert auf der Vorstellung, dass die Gäste einer gigantischen Vorstellung beiwohnen, dementsprechend werden alle Bereiche, die für Besucher/-innen zugänglich sind, als on stage bezeichnet, während alles andere backstage stattfindet. Mitarbeiter/-innen sind demnach auch nicht einfach employees, sondern cast members – diese werden daher nicht hired for a job, sondern cast for a role.

Man sieht sich (wenn man aufmerksam ist) auf Schritt und Tritt mit Wortspielen aller Art konfrontiert, die von offensichtlich bis subtil und anspruchsvoll reichen. In Tomorrowland (The Future That Never Was) kann man Süßigkeiten bei Auntie Gravity’s (also: anti-gravity) Galactic Goodies kaufen oder Souvenirs bei Merchant of Venus (Merchant of Venice) erstehen. Der Star ist und bleibt jedoch Mickey Mouse – abgesehen von vielen Wortschöpfungen rund um ear, wie zB Earffel Tower, ein Wasserturm mit großen schwarzen Ohren (leider inzwischen abgebaut), findet man in ganz Disney World versteckt, ja oft nur angedeutet, den berühmten Umriss der Maus bestehend aus einem großen und zwei kleinen Kreisen, die sogenannten Hidden Mickeys.

Generell muss man festhalten, dass die kreativen Köpfe bei Disney – die sogenannten Imagineers – in Disney World nichts gestalten, ohne ein in sich stimmiges Bild oder eine umfassende Backstory zu entwerfen, die sich auch in den kleinsten und unscheinbarsten Elementen widerspiegelt. Als Beispiel sei hier der Wasserpark Blizzard Beach erwähnt, dem folgende Geschichte zugrundegelegt wird:

„Disney tells us that a venturesome entrepreneur was intent on opening a ski resort in Florida during a particularly harsh winter. However, the snow melted, the lush Floridian vegetation grew back, and what was left was the Alpine lodge, the ski lifts, and the mountain; … the ski slopes and bobsled runs were transformed into water slides, with a large lagoon having been formed by the melting snow“ (Beer 1996: 111).

Auch die internen Abläufe sind darauf ausgerichtet, eine straffere Führung, aber auch ein größeres Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzielen. Dies äußert sich nicht nur in einer teilweise originären Firmensprache mit Disney-eigener Terminologie, sondern auch in manchmal sehr autoritär anmutenden Verhaltens- und Kleidungsregelungen für die Cast Members, die von erlaubtem Schmuck über Haarpracht bis zu Vorschriften hinsichtlich zulässiger Unterwäsche reichen. Es ist schwere Arbeit, ständig und überall eine „heile Welt“ darzustellen – und auch darüber gibt es bereits einiges an Forschung (allerdings nicht von mir…).

Man kann von all dem nun halten, was man will, aber eines ist unbestritten: der Erfolg gibt Walt Disney und seinen Epigonen in gewisser Weise recht; man muss nur das heutige Disney-Imperium mit den bescheidenen Anfängen vor bald 90 Jahren vergleichen – oder um es mit den Worten des Unternehmensgründers zu sagen:

„I only hope that we never lose sight of one thing – that it all started with a mouse.“

#Forschung #DisneyWorld #MickeyMouse #WaltDisney